Freitag, 24. Juli 2009

Deflation demystified oder: Eine Deflationsursache gibt es nicht!


Dass es eine Natur nicht gibt, wissen meine treuen Leserinnen und Leser schon lange.
Ebenso haben sie sich an die
Nichtexistenz von einer Inflation gewöhnt (genauer hätte ich eigentlich sagen müssen: einer Inflationsform; den Lesern des vorliegenden Blotts möchte ich auch diesen Inflations-Blott ans Herz legen).
Also sind wir jetzt gerüstet, um gemeinsam "die" Deflation einer Kernspaltung zu unterziehen.



Lesen wir uns allerdings den Aufsatz "Aggregate Supply-Driven Deflation and Its Implications for Macroeconomic Stability" von David Beckworth durch, stellen wir fest, dass sich auch in der Wirtschaftswissenschaft schon Stimmen regen (davon, dass sich diese Einsicht durchgesetzt habe, oder dass sie auch nur weit verbreitet sei, kann man wohl nicht sprechen), welche zwischen einer guten ("benign") und einer schlechten ("malign") Deflation unterscheiden.
Das Papier ist im Herbst 2008 im "Cato Journal" erschienen. Als
"Libertarian Think Tank" ist das Cato Institut nicht gerade mein Leib- und Magen-Meinungslieferant, aber der Aufsatz von Beckworth (im wesentlichen eine Übersicht über den Forschungsstand) ist tatsächlich sehr interessant.
[Prof. Beckworth hat das Thema auch
ausgiebig bebloggt; mittlerweile habe ich diese umfangreichen Texte in seinem Blog "Macro and Other Market Musings" gelesen. Dort präsentiert er u. a. weitere Literaturhinweise auf Arbeiten, die seine Auffassung bestätigen. Auszüge siehe unten.]

Beckworth referiert den Forschungsstand (wobei, wie gesagt, diese Erkenntnisse noch nicht in den Mainstream der Volkswirtschaftslehre vorgedrungen sein mögen) wie folgt (meine Hervorhebungen):
"
Deflation is generally considered to be inconsistent with macroeconomic stability. Any sustained decline in the price level is widely believed to be associated with weak to negative economic growth, a lower bound of zero on the policy interest rate, and an increase in financial disintermediation. However, a number of recent studies examining both historical, cross-country experience with deflation and more recent developments find that these concerns are not necessarily associated with deflation (Selgin 1997, .....). They show that the deflationary experiences that shape the modern economic psyche, the Great Depression in the 1930s and Japan in the 1990s, are not truly representative of all deflation outcomes.
These studies contend that a broader, historical perspective reveals a more nuanced view of deflation, one that requires taking seriously the possibility of both a malign deflation, a deflation originating from a collapse in aggregate demand, and a benign deflation, a deflation originating from an increase in aggregate supply.
"

Wie wird der Begriff Deflation allgemein definiert?

Eine aktuell wichtige Definition (weil sie als Hintergrund der Fed-Geldpolitik des
"quantitative easing", also der Geldflutung, zu sehen ist) liefert Ben Bernanke in seiner 'Hubschrauber-Rede' (Deflation - making sure "it" doesn't happen here) vom 21.11.2002 in dem Abschnitt "Deflation: its causes and effects" (meine Hervorhebungen):
"Deflation is defined as a general decline in prices, with emphasis on the word "general." At any given time, especially in a low-inflation economy like that of our recent experience, prices of some goods and services will be falling. Price declines in a specific sector may occur because productivity is rising and costs are falling more quickly in that sector than elsewhere or because the demand for the output of that sector is weak relative to the demand for other goods and services. Sector-specific price declines, uncomfortable as they may be for producers in that sector, are generally not a problem for the economy as a whole and do not constitute deflation. Deflation per se occurs only when price declines are so widespread that broad-based indexes of prices, such as the consumer price index, register ongoing declines. The sources of deflation are not a mystery. Deflation is in almost all cases a side effect of a collapse of aggregate demand a drop in spending so severe that producers must cut prices on an ongoing basis in order to find buyers. Likewise, the economic effects of a deflationary episode, for the most part, are similar to those of any other sharp decline in aggregate spending--namely, recession, rising unemployment, and financial stress."
Hier findet also jene Deflationsfurcht ihren Ausdruck, die von der Erfahrung der Great Depression geprägt ist ("... in almost all cases a side effect of a collapse of aggregate demand ...").

Eine sehr viel schärfere Definition (nicht überraschend, da es sich um einen sehr ausführlichen Lexikoneintrag handelt) hat
Pierre L. Siklos im Economic History Net erarbeitet (meine Hervorhebungen):
"
Deflation is a persistent fall in some generally followed aggregate indicator of price movements, such as the consumer price index or the GDP deflator. Generally, a one-time fall in the price level does not constitute a deflation. Instead, one has to see continuously falling prices for well over a year before concluding that the economy suffers from deflation. How long the fall has to continue before the public and policy makers conclude that the phenomenon is reflected in expectations of future price developments [bevor sich also reale Deflation und mentale Deflationserwartung zu einem negativen Regelkreis, einer Abwärtsspirale, verfestigen]is open to question. For example, in Japan, which has the distinction of experiencing the longest post World War II period of deflation, it took several years for deflationary expectations to emerge. [Die "Attentismusdeflation" (s. u.) stellt sich also keineswegs so schnell bzw. so automatisch ein, wie uns die Deflationshysteriker Glauben machen wollen.]
Most observers tend to focus on changes in consumer or producer prices since, as far as monetary policy is concerned, central banks are responsible for ensuring some form of price stability (usually defined as inflation rates of +3% or less in much of the industrial world). However, sustained decreases in asset prices, such as for stock market shares or housing, can also pose serious economic problems since, other things equal, such outcomes imply lower wealth and, in turn, reduced consumption spending. While the connection between goods price and asset price inflation or deflation remains a contentious one in the economics profession, policy makers are undoubtedly worried about the existence of a link, as Alan Greenspan's "irrational exuberance" remark of 1996 illustrates. .....
..... the sometime calamitous effects that are thought to be associated with deflation can largely be explained by the rather unique event of the Great Depression of the 1930s. .....
Whereas policy makers today speak of the need to avoid deflation their assessment is colored by the experience of the bad deflation of the 1930s, and its spread internationally, and the ongoing deflation in Japan.
"
(Der lange Artikel trägt das Datum vom 11.05.2004; die aktuellen Entwicklungen seit der Weltfinanzkrise 2007 bzw. 2008 ff. sind darin also noch nicht verarbeitet.)

Natürlich lässt uns auch die Wikipedia nicht im Stich, sondern bietet
auf Deutsch und auf Englisch jeweils sehr ausführliche Einträge.

Formal ist der Deflationsbegriff ziemlich leicht und ziemlich präzise zu erfassen: Es handelt sich um einen länger dauernden Preisverfall auf breiter Front, sei es in der Volkswirtschaft insgesamt, sei es auf einem der Hauptsektoren:
- Konsumgüterpreise
- Investitionsgüterpreise
- Sachwertpreise (Asset prices: Wertpapiere, Immobilien).

Ein Problem stellt eine genauere Klärung der Ursachen und der Wirkungen dar.

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Ich werde es wohl nicht mehr schaffen, diesen Blott zu einem runden Text auszubauen; aber auch lose Fäden mögen ihren Wert haben.

Hier zunächst einmal der Versuch einer aus meiner Sicht Erkenntnis fördernden Einteilung der Deflationsursachen, und damit der Deflationstypen. In der ökonomischen Wirklichkeit sind die natürlich nicht immer so schön säuberlich zu trennen bzw. ist die (hauptsächliche) Ursache nicht immer leicht zu erkennen. Zumindest theoretisch vorstellbar ist auch, dass die eine Deflationsart in eine andere umschlägt (z. B. Kostendeflation in Attentismusdeflation).

1) Attentismusdeflation
Die Menschen haben zwar Geld, stellen aber Anschaffungen in der Erwartung weiterer Preissenkungen zurück.

2) Kostendeflation
Preise fallen, weil die Produktionskosten fallen. Wir kennen das in ziemlich extremer Form aus dem Computerbereich; auch bei Digitalkameras, Handys und anderen Produkten der Konsumelektronik. Grundsätzlich kann man sich vorstellen, dass eine solche Situation zur Attentismusdeflation führt; tatsächlich war das allerdings bisher wohl nicht der Fall. Wer z. B. einen PC braucht (oder zu brauchen glaubt), wird sich nicht auf Dauer dadurch vom Kauf abhalten lassen, dass er um den Preisverfall in diesem Teilmarkt weiß. Allerdings habe z. B. ich persönlich mit meinen beiden PC-Käufen doch jeweils einige Zeit gewartet, bis das von mir angepeilte Preis-Leistungs-Verhältnis erreicht war. Da aber die Konsumenten insoweit unterschiedliche Vorstellungen haben, dürften sich im Durchschnitt die Umsätze dennoch ziemlich kontinuierlich entwickeln.

Dies sind die gängigen Varianten; gefürchtet (und tatsächlich gefährlich) ist besonders die erstere. Meines Erachtens sind diese aber um zwei weitere Typen zu ergänzen, nämlich

3) Mittelmangeldeflation
Menschen würden gern kaufen, haben aber kein Geld. In diese Situation könnten die industrialisierten Länder durch steigende Arbeitslosigkeit mehr und mehr herein rutschen.

4) Platzblasendeflation
Preise wurden auf bestimmten Sektoren (in der aktuellen Krise bei den Immobilien und den Rohstoffen) inflationär aufgebläht.
Ein Preisverfall ist (soweit diese sektoralen Inflationen - wie aktuell wohl der Fall - liquiditätsgetrieben waren; bei Mangelgetriebenen Inflationen gilt das natürlich nicht) unvermeidlich und zwingend notwendig, um die Proportionen wieder herzustellen.

In Reinkultur wird man die nachfolgenden Deflationsursachen nirgends antreffen, aber als deflationsfördernde Tendenzen wären noch hinzuzufügen:

5) Sättigungsdeflation
Verbraucher haben genügend Geld, aber keine Lust zum Einkaufen oder keinen Platz für eingekaufte Dinge.

6) Dissensdeflation
Dabei habe ich speziell mich selbst im Auge: ich würde gern verschiedene Bekleidungsstücke kaufen, bin aber (schon seit längerem) im Dissens mit der Mode, dem Design oder der Qualität: das Angebotene lockt mich einfach nicht. Auf die Dauer de-konditionieren die Modehäuser Kunden wie mich: ich habe nicht einmal mehr Lust, Kaufhäuser oder etwa C & A zu betreten. Weil ich zu oft enttäuscht wurde, bin ich nun wie ein Pawlowscher Hund konditioniert, jedoch nicht auf eine Erwartung, sondern eine Enttäuschung.
Insgesamt darf man wohl vermuten, dass ältere Menschen verhältnismäßig weniger einkaufen: die meisten, weil sie schon "alles haben" und einige auch deshalb, weil sie zu "Konsummuffeln" geworden sind. Wir Alten sind halt, tendenziell zumindest, eher
Potlatch-skeptisch bzw. Potlatch-müde als jüngere.
Ergänzung 09.08.2009:
Da schau her: es sind, in Japan zumindest, keineswegs (nur oder in erster Linie) die Alten, welche sich dem Dienst an der Konsumgesellschaft verweigern.
Über "Japans lustlose Grasfresser" berichtet am 06.08.2009 Martin Kölling aus Tokio für die Financial Times Deutschland (Hervorhebungen von mir):
"In Japan hat sich eine neue Generation junger Männer etabliert. Sie sind weich, unauffällig und arbeitsscheu. Die Gesellschaft ist besorgt: Die "Grasfresser" gründen keine Familien und zeigen wenig Interesse am Kaufrausch."

7) Unsicherheitsdeflation
Käufe werden zurückgestellt mit der (gedachten) Begründung "Man weiß ja nie, was noch kommt; besser ich halte mein Geld zusammen".
Anschauliche Darstellungen eines solchen 'Angstsparens' bietet, für Japan und auf der Mikro-Ebene, der New York Times Artikel
"When Consumers Cut Back: An Object Lesson From Japan" vom 22.02.2009.
Die Unterschiede zwischen japanischen und amerikanischen Konsumenten hatte schon am 25.11.2002 der (vermutlich) Student Noah Davis in der Zeitschrift "The Commentator. The Official Student Newspaper of Yeshiva College and Sy Syms School of Business" unter dem Titel
"JAPAN vs. USA: The Raw (Sushi) Facts on Deflation Demystified" humorvoll auf's Korn genommen:
"
What really scares Americans is the type of deflation that Japan has lived through for the past four years. Prices keep declining and there is nothing the central bank can seem to do about it. The Bank of Japan has cut interest rates virtually to zero. Money in Japan is practically free! However, banks can't seem to find any takers. .....
With inflation-adjusted interest rates now at or below zero, the Fed seems to have very little maneuvering room left. Mr. Greenspan demonstrated little concern about the likelihood of deflation with the surprising 50 basis point rate cut on November 6. He believes that Americans will take the cheap money and go on a shopping spree. .....
But why will Americans take Greenspan's cheap money when the Japanese refuse? Because Americans can't resist! From the day we are born we are conditioned by the Visa's and GM's of the world to spend it all. And with the extensive and intricate financing opportunities that exist, Americans can spend it even if they don't have it. Our entire lives are quantified into one simple, small monthly payment. As short-term interest rates decline those monthly payments shrink, allowing us to exponentially keep on spending! The Japanese love to save; it is their nature. Japanese have the highest savings per-capita in the world. By contrast, the average annual savings per-capita in America is $0! (But who do you really think has more fun!) As long as we keep on shopping, the economy will keep on sailing without the risks of deflation.
However, if we do enter a period of deflation then Greenspan could be making a very dangerous gamble. As a result of all the interest rate cuts, Americans have been swallowing up a mountain of debt. The slightest exposure to deflation could throw the entire U.S. economy into a landslide of defaults.
..... the Fed, government, and consumers will have to work together to avoid a collision with deflation. ..... So exercise your right as a patriotic American - use your VISA
!"

Die Wikipedia und andere Quellen nennen auch eine
Reduktion der Staatsausgaben als weitere mögliche Deflationsursache. Gibt es so etwas wirklich, dass ein Staat seine Ausgaben reduziert ;-)?


Zu 1)
Bewusst habe ich den vagen Begriff "die Menschen" gewählt. In der Praxis wird es insbesondere um die Verbraucher gehen, die sich niedrigere Preise erhoffen und stellen deshalb Käufe zurückstellen.
Vorstellbar sind entsprechende Vorgänge aber auch im Investitionsgüterbereich. Inwieweit das in der Vergangenheit (etwa in der ersten Weltwirtschaftskrise) praxisrelevant war, weiß ich nicht. Grundsätzlich muss aber natürliche eine wegbrechende Konsumgüternachfrage auch auf den Investitionsgütermarkt durchschlagen.
In der aktuellen Wirtschaftskrise darf man angesichts des enormen Nachfrageeinbruchs z. B. bei den deutschen Maschinenbauern wohl annehmen, dass diese auch mit Preissenkungen um Aufträge kämpfen. Allerdings wird die Kaufzurückhaltung der potentiellen Nachfrager vermutlich weniger von der Hoffnung auf einen noch stärkeren Preisverfall bestimmt als vielmehr vom fehlenden Bedarf (fehlende Nachfrage der Konsumenten nach den mit den Investitionsgütern herzustellenden Produkten) bzw. fehlenden Geld (Gewinnrückgang durch Preisverfall, Kreditklemme) wie auch von vorsichtiger Zurückhaltung (die alte Maschine läuft auch noch ein Jahr länger).


Man kann die o. a. Gruppen auch zusammenfassen in

- Attentismusdeflation (man könnte das, vielleicht noch klarer, auch "spekulationsinduzierter Deflation" nennen): Die Menschen haben zwar ausreichende Mittel und sind auch bereit, diese auszugeben; das aber nicht zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Vielmehr spekulieren sie auf fallende Preise und stellen aus diesem Grunde ihre Käufe zurück.

- Kostendeflation: Preise fallen, Menschen kaufen entsprechend mehr; das ist die "gute" Deflation. (Beckworth
nennt das: "Supply-side-driven deflation", Deflation durch "supply-side shocks"; das Gegenteil sind die "demand-driven deflations", die durch einen "demand shock" ausgelöst wurden, also einen drastischen Nachfragerückgang)

-Verweigerungsdeflation: Menschen haben zwar genügend Mittel, mögen diese aber nicht voll ausgeben sondern horten sie oder ziehen sie aus der Realwirtschaft heraus (und führen sie etwa auf finanzwirtschaftlichen 'Spielwiesen' spazieren, die von der Realwirtschaft weitgehend entkoppelt sind:
Derivate usw.).

- Mangeldeflation: Menschen würden gern Käufe tätigen, haben aber das Geld nicht.

- Korrekturdeflation ('Platzblasendeflation'; ähnlich aus anderer Perspektive der
"Minsky Moment"): Notwendiger Abbau von sektoraler Inflation (aktuell also: Immobilien in den USA und in einigen anderen Ländern, Rohstoffpreise). Keine "gute" Deflation in dem Sinne, dass sie ganz ohne Schmerzen für die Volkswirtschaft abliefe (Banken!), aber m. E. eine notwendige Deflation.


Das Rezept gegen Deflation lautet Reflation (oder Re-Inflation). Dazu bemerkt ein gewisser Steve Saville in einem Artikel (schon) vom 21.10.08 unter der Überschrift
"Trying to get Something for Nothing" sehr klug:
"Whether the advocates of increased government spending and the various other re-inflation policies realise it or not, at the root of their proposed 'solutions' to the crisis is the idea that it is possible to get something for nothing. It is axiomatic that an increase in production must precede a sustained increase in consumption; that saving is the basis of long-term economic growth; that no individual can become rich by spending more than he earns; and that no country can become wealthy, or recover from a recession, by consuming more than it produces. And yet, most commentators have deluded themselves into believing that you can get around the problem of inadequate real savings by simply increasing the supply of the medium of exchange, and that you can bypass the need for increased consumption to be funded by increased production by simply getting the government to spend like a drunken sailor."


Zur aktuellen Deflationshysterie in den Medien:
"Inflationsrate. Preisverfall weckt Deflationsangst" titelt die Financial Times Deutschland am 29.07.09, gibt aber sogleich Entwarnung (meine Hervorhebungen):
"Es wird keine Deflation geben. Nimmt man die Energie und Lebensmittel heraus, steigen die Preise sogar merklich", sagte Volkswirt Simon Junker von der Commerzbank. "Am Jahresende werden wir wieder leicht anziehende Preise sehen", meinte SEB-Ökonom Klaus Schrüfer. Auch der wieder leicht anziehende Welthandel dürfte den Preisverfall stoppen."
Na also, da freuen wir uns aber: die Preise steigen schon jetzt und werden künftig noch kräftiger klettern! (Und in vielleicht gar nicht so ferner Zeit wieder wie die Affen die Bäume hochrasen ...?)
Schon am 30.06.09 kokettierte eine FTD-Überschrift mit der Panik:
"Verbraucherpreise. Eurozone droht Deflation" um sogleich zu relativieren:
"Erstmals seit Einführung des Euro 1999 ist die jährliche Teuerungsrate im gemeinsamen Währungsgebiet unter Null gefallen. Von einer Deflation kann laut Experten aber noch nicht die Rede sein."
Den 'Ach, die armen Japaner-Buhmann' entlarvt der Zeit-Bericht
"Japan. Vergnügt in der Krise" von Georg Blume und Chikako Yamamoto aus der Ausgabe 08/2001:
"Ein Jahrzehnt Rezession - und den Japanern geht es besser denn je" erfahren wir dort nämlich.



Nachtrag 15.08.09:
Hier wenigstens hat die Deflation keine Chance: im Frankfurter Hauptbahnhof ist vielmehr die Inflation am Dampfen.
Fast 10,- DM (alter Rechnung natürlich) für einen Fingerhut voll Kaffee, einige Kleckschen Butter und Marmelade und zwei Croissants, die auch nicht in einer Werkstatt von Riesen gebacken wurden: das sind Happen für den hohlen Zahn!
4,85 Euro sind etwas viel Geld für ziemlich wenig Frühstück!
Solchen Preisen täte eine kräftige Deflation gut!


Nachträge 16.08.09

Es stellt sich die Frage, ob die Deflationsfurcht möglicher Weise nicht nur historisch bedingt ist, sondern auch durch handfeste Interessen gefördert wird.
Nicht dass ich im Sinne einer Verschwörungstheorie an irgendwelche Hinterzimmerversammlungen glaube, auf welchen irgendwelche Big Bosses den Kampf gegen Deflation und (in gewissen Grenzen) pro Inflation beschließen.
Objektiv muss aber die "Finanzindustrie" oder, wie ich sie in ironischer Anlehnung an andere organisierte Bereiche der Gesellschaft nennen möchte, die 'organisierte Finanzwirtschaft', ganz generell ein Interesse daran haben, dass möglichst viel Geld im System ist.
Je mehr Geld in der Welt herumschwimmt, desto mehr wird auch durch die Kanäle von Organized Finance (OF) floaten, und entsprechend mehr kann OF Gebühren und Zinsen abgreifen.
Im Prinzip ist das heute nicht anders bei den Münzbeschneidern zu Zeiten der
Kipper und Wipper, nur dass sich die Methoden weiterentwickelt haben.
Ich könnte mir daher vorstellen (ob das zutrifft, müsste empirisch verifiziert werden), dass die Organisierte Finanzindustrie instinktiv jedwede Deflation ablehnt und Inflation, zumindest eine maßvolle, als interessenkonform begrüßt.
(Vgl. dazu auch
meinen Kommentar - Nr. 3 - zu dem Blott "The Deflation Threat of 2009 vs. The Deflation Threat of 2003" von Prof. Dr. Beckworth)."Should We Accept the Conventional Wisdom About Deflation?" ist eine zum Aufsatz umgearbeitete Rede von Gary H. Stern, Präsident der Federal Reserve Bank of Minneapolis, vom September 2003. Wie der Titel schon vermuten lässt, sieht Stern die Deflationsangst kritisch:
"I will argue that the conventional wisdom about the real economic consequences of deflation is questionable."
Dass Japan in den 90ern des vorigen Jahrhunderts (bzw. Jahrtausends) überhaupt eine ernsthafte Deflation hatte, scheint er zu bezweifeln (meine Hervorhebungen):
"The Japanese economy has essentially stagnated over the last 10 or 12 years, and some of those years have been characterized by modest declines in overall price levels. ..... I think it's important to note that really all that Japan has experienced as far as I can judge is stagnation and occasional bouts of deflation. It's certainly nothing rivaling the Depression of the '30s. Further, Japan's recent problems may be due to rigidities and resource misallocation. Too many resources are devoted to declining or contracting industries. The Japanese have been unwilling to make or encourage or facilitate the resource reallocations that need to occur for the economy to thrive.." [Die Deutschen allerdings auch: Opel! Und mittlerweile sogar Amerika: General Motors!]
Entscheidend für eine Beurteilung und ggf. für ein geldpolitisches Eingreifen ist für ihn eine Unterscheidung der Deflationen nach ihren Entstehungsursachen, aber auch nach der Dimension:
"... the underlying cause of the deflation matters. If, on the one hand, the deflation is a result of a positive supply shock, positive productivity growth, then it's benign. And we need not worry about it, and we need not think about policies to offset it. If, on the other hand, deflation is a consequence of a negative shock to aggregate demand, so that the demand for goods and services unexpectedly falls below what had been anticipated, that could be a more serious problem. Consequently, before we act, we need to identify and understand the cause of the unanticipated deflation. ... The size of the deflation matters.."

Der Aufsatz ist für das breite Publikum gedacht; die Fed in Minneapolis hat (im Januar 2004) aber auch eine wisenschaftliche Studie zum Thema Deflation publiziert:
"Deflation and Depression: Is There an Empirical Link?" von "Andrew Atkeson, University of California, Los Angeles and Federal Reserve Bank of Minneapolis und Patrick J. Kehoe, Federal Reserve Bank of Minneapolis and University of Minnesota". Auszüge daraus (meine Hervorhebungen):
"Our main finding is that the only episode in which we find evidence of a link between deflation and depression is the Great Depression (1929—34). We find virtually no evidence of such a link in any other period."
Also auch nicht in Japans "verlorenem Jahrzehnt"
("lost decade"), das sie vielmehr wie folgt erklären:
"We note here that since WWII, one country has come close to having both a depression and a deflation: Japan in the late 1990s. Is Japan's recent slowdown from a historically high average growth primarily due to its very low inflation rates? We doubt it. Since 1960, Japan's average growth rates have basically fallen monotonically, and since 1970, its average inflation rates have too. Attributing this 40-year slowdown to monetary forces is a stretch. More reasonable, we think, is that much of the slowdown is the natural pattern for a country that was far behind the world leaders and had begun to catch up."
[Wobei sich dann natürlich die Frage stellt, ob das für andere Länder - nicht zuletzt auch die USA - ebenso gelten müsste, bzw. ggf. aus welchem Grunde diese 'Gesetzmäßigkeit' dort unwirksam sein soll.]
Nicht einmal in der (ersten) Weltwirtschaftskrise war nach den Feststellungen der Autoren (andere Forscher sind allerdings anderer Meinung) der Zusammenhang zwischen Deflation und ökonomischer Depression besonders stark ausgeprägt:
"
We start with the Great Depression episode, 1929—34. The data for this episode do seem to show a link between deflation and depression–but not an overwhelmingly tight link. .....
In the Great Depression episode, then, all countries had deflation, and half of them had depression. In a regression sense, there seems to be a link here. Researchers disagree on how strong that link is. Some, like Barry Eichengreen and Jeffrey Sachs (1985) and Bernanke and Carey (1996), argue that deflation and depression during the Great Depression were closely linked; Cole, Ohanian, and Leung (2003) argue to the contrary.
."
Außerhalb der Great Depression können Atkeson und Kahoe überhaupt keinen Kausalzusammenhang feststellen:
"
While the debate about the Great Depression episode is ongoing, our interest lies mainly in looking for a robust relationship in a broader historical context. If we find none, the Great Depression may have been a special experience with little to offer policymakers considering a deflationary policy today. And that is what we find.
In Figure 2, we plot average inflation and output growth rates for the 17 countries for all five-year periods except 1929—34. Here we see only 8 episodes with both deflation and depression. There are 65 episodes of deflation without depression and 21 of depression without deflation. Thus, 65 of 73 deflation episodes had no depression, and 8 of 29 depression episodes had no deflation. What is striking is that nearly 90% of the episodes with deflation did not have depression. In a broad historical context, beyond the Great Depression, the notion that deflation and depression are linked virtually disappears.
"
In den "Concluding remarks" fassen sie ihre Ergebnisse so zusammen:
"The data suggest that deflation is not closely related to depression. A broad historical look finds many more periods of deflation with reasonable growth than with depression and many more periods of depression with inflation than with deflation. Overall, the data show virtually no link between deflation and depression."
Was dann bei mir wiederum die Zweifel daran bestärkt, dass die monetäre Deflationsbekämpfung der Fed (sowie auch der europäischen Zentralbank?), jedenfalls in 2003 und früher, nur von Depressionsfurcht geleitet war. Zumindest unbewusst könnten auch objektive Interessenpositionen der Finanzwirtschaft dahinter gestanden haben - siehe oben.

Jess Benhabib von der New York University und Mark M. Spiegel von der Federal Reserve Bank of San Francisco sind wohl (ich habe das Papier nicht gelesen) anderer Meinung als Atkeson und Kehoe. In der Zusammenfassung ("Abstract") ihres Forschungspapiers
"Moderate Inflation and the Deflation-Depression Link" vom 11.20.2006, herausgegeben von der Federal Reserve Bank von San Francisco, schreiben sie (meine Hervorhebungen):
"In a recent paper, Atkeson and Kehoe (2004) demonstrated the lack of a robust empirical relationship between inflation and growth for a cross-section of countries with 19th and 20th century data, concluding that the historical evidence only provides weak support for the contention that deflation episodes are harmful to economic growth. In this paper, we revisit this relationship by allowing for inflation and growth to have a nonlinear specification dependent on inflation levels. In particular, we allow for the possibility that high inflation is negatively correlated with growth, while a positive relationship exists over the range of negative-to-moderate inflation. Our results confirm a positive relationship between inflation and growth at moderate inflation levels, and support the contention that the relationship between inflation and growth is non-linear over the entire sample range."

Auszüge aus den mit dem Täg
"Malign vs Benign Deflation" markierten Blotts im Blog "Macro and Other Market Musings" oder kurz "Macromarketmusings" von Prof. David Beckworth (meine Hervorhebungen):Vergleich 2003 zu 2009:
"In short, the fear of deflation in 2003 laid seeds for the deflationary threat of 2009. ..... In 2003 the deflationary pressures were driven by rapid productivity gains and were benign in nature. Moreover, nominal spending or aggregate demand was rapidly growing. There simply was no evidence of a malign deflationary threat as there is today and thus, there was no need for the Fed to drop interest rates so low for so long."
Zur Herkunft der
herkömmlichen Bewertung von Deflation in der Wirtschaftswissenschaft:
"The origins of this deflation orthodoxy can be traced to the painful deflation experience during the Great Depression of the 1930s. Japan's experience with deflation and its weak economy in the 1990s only reinforced this view. The modern economic psyche, therefore, has been programmed to go into fits at the first sign of any deflationary pressures.
"

Ein Hinweis auf einen Kommentar der (englischsprachigen) Financial Times. Den Schlussabatz dieses Kommentars "Learning from the Greenspan legacy" vom 15. Februar 2008 sollte man sich vielleicht merken (meine Hervorhebung):
"So central bankers have to learn lessons. Yes, the bankers were responsible for bingeing on the cheap money provided. But central banks bear responsibility for providing the feast and need to be more frugal in future. So Ben Bernanke, the Fed chairman, should take note. Using a new supply of candy to cure indigestion might cause even sharper pains tomorrow."
Unter "Deflation isn't always dangerous" repliziert Beckworth einen eigenen Aufsatz vom 19.11.2007 aus dem Magazin "Barrons". Prophetisch klingt uns heute der Schluss in den Ohren (Hervorhebung von mir):
"The current problems in the U.S. economy are in part a failure of deflation orthodoxy. Federal Reserve officials, following conventional wisdom on deflation, misread the deflationary pressures in 2003 and fueled financial imbalances that today are just beginning to be worked out. Moving forward, it is important that the two forms [erg. "of" ?] deflation and their policy implications be better understood by monetary authorities. History can repeat itself, and sooner than we may now think."
Humor hat, wie freilich bei amerikanischen Wissenschaftlern nicht selten, der Mann auch. In seinem Blott (vom 31.08.07) "My conversation with Ben Bernanke" schreibt er scherzhaft über eine Begegnung mit Ben Bernanke (damals noch nicht Chef, sondern "nur" einer der Gouverneure der amerikanischen Federal Reserve Bank) in 2003 (oder 2004, das wird aus dem Eintrag nicht ganz klar) (meine Hervorhebung):
"You can imgaine how excited I was to be hanging (all of 5 minutes) with someone whose work I had studied extensively in graduate school and who was now a Fed governor. I did not wash my Bernanke-handshaked hand for weeks."
Ansonsten ist das natürlich kein Witzeintrag. In dem ernsten Schlussabsatz heißt es:
"Why am I sharing all of this with you? Because it is germaine to question of whether the deflation scare of 2oo3 was mishandled by the Federal Reserve. Now Ben Bernanke was only a governor at the time, but his view is probably a good representation of what the Fed was thinking: low inflation => low aggregate demand => low interest rates needed. As I have stated elsewhere on this blog, what they should have been thinking is low inflation low inflation => robust productivity growth => no need to cut rates (maybe even raise them)."


Nachträge 21.08.2009 ff.
Paul de Grauwe, Wirtschaftswissenschaftler an der katholischen Universität von Louvain (Belgien) bewertet Fishers "Entdeckung" in seinem Aufsatz "Keynes' savings paradox, Fisher's debt deflation and the banking crisis" vom 06.04.2009 (auf der Webseite "Euro Intelligence"; eine wissenschaftliche Version des Aufsatzes mit Diagrammen ist hier eingestellt) nur als eine von -4- Deflationsspiralen:
  • Der Spar-Deflationsspirale ("Keynesian savings paradox"),
  • Der Schuldentilgungs-Deflationsspirale ("Fisher's debt deflation")
  • Der Rationalisierungs-Deflationsspirale ("Cost cutting deflation") und
  • Der Kreditrestriktions-Deflationsspirale ("Bank credit deflation")


Nachtrag 28.08.09:
ALLAN H. MELTZER warnt in seinem Kommentar
"Inflation Nation" in der New York Times vom 3.5.09 vor einer durch übermäßige Geldversorgung der Finanzmärkte hervorgerufenen Inflation. Als Ursache dafür sieht er wohl auch eine Deflationshysterie; jedenfalls schreibt er dazu:
"
Some of my fellow economists, including many at the Fed, say that the big monetary goal is to avoid deflation. They point to the less than 1 percent decline in the consumer price index for the year ending in March as evidence that deflation is a threat. But this statistic is misleading: unstable food and energy prices may lower the price index for a few months, but deflation (or inflation) refers to the sustained rate of change of prices, not the price level. We should look instead at a less volatile price index, the gross domestic product deflator. In this year’s first quarter, it rose 2.9 percent — a sure sign of inflation.
Besides, no country facing enormous budget deficits, rapid growth in the money supply and the prospect of a sustained currency devaluation as we are has ever experienced deflation. These factors are harbingers of inflation
."


Nachträge 01.09.2009


Patrick Killelea, der eine Webseite zum US-Immobiliencrash unterhält, packt die Wut angesichts der amerikanischen (teils implementierten, teils wohl nur beabsichtigten) Deflations-Verhinderungspolitik. Er hält mit guten Gründen (die auch ich anderswo bereits vorgetragen habe) eine Korrekturdeflation für zwingend erforderlich (meine Hervorhebungen):
"
The US economy will not recover until house prices are allowed to fall to prices buyers can easily pay on a normal salary. The primary evil in the economy is government "affordability" programs which encourage debt, making prices higher, not lower. True affordability is not more debt -- true affordability is lower prices. The government's false affordability programs have created more debt than can ever possibly be repaid. .....
When house prices finally fall to affordable levels, and foolish lenders and foolish borrowers are finally allowed to fail, then the economy will work again: there will be investment based on real production instead of on financial speculation, jobs will be created, and money will be earned and spent. .....
Prices disconnected from Gross Domestic Product. The value of housing in the US depends a lot on the value of what the US actually produces. Not only is the GDP decreasing, jobs are being lost in large numbers. It does not make sense to buy when more jobs will be lost and the price people can pay will decrease. Unemployment drives housing prices down. .....
Buyers borrowed too much money and cannot pay the interest. Now there are mass foreclosures, and Congress is taking a trillion dollars of your money to pay the mortgage investment losses for banks. The plan is to overpay the banks for bad mortgages, claiming that this will support the housing market. .....
We also have legal contracts being modified to stop even well-justified foreclosures. [Irgendwo - ich finde die Passage nicht mehr - hatte ich über die - damals nur beabsichtigte - Modifikation des US-Zwangsvollstreckungsrechts zu Lasten der Gläubiger bereits berichtet.] No one was forced to borrow money. It was a choice -- a very bad choice, but completely voluntary. Grownups should be responsible for their own actions. To prevent a justified foreclosure is also to prevent a deserving family from buying that house at a low price, not to mention what this does to faith in contract law. No one in government or the press will even mention that everyone in foreclosure trouble got themselves into that spot by voluntarily borrowing too much money.
Should taxes be used to pay the debts of irresponsible borrowers, no matter how much they over-borrowed or overpaid for a house?
"

Eine Mischung von Realismus und Spiritualität scheint das (wohl noch nicht fertige) Buch
"TURN OUT THE LIGHTS" eines gewissen Michael Clark (Maler, Schriftsteller - und Börsenanalyst: quite a combination!) zu sein.
In seinem Blog hat er u. a. das Kapitel 3 veröffentlicht: "TURN OUT THE LIGHTURN OUT THE LIGHTS. CHAPTER THREE. WHY WE NEED DEFLATION. (The Winter is a Season of both Death and, later, Regeneration)"
Seine
zoroastrische Weltsicht eines Kampfes zwischen Licht und Finsternis teile ich zwar eher nicht.
Aber seine aus dem Leben gegriffenen Beispiele, in der Wirtschaftswissenschaft würde man von "colloquial evidence" sprechen, für Inflation (exorbitante Gehaltssteigerungen z. B. bei Sportlern, gigantische Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und in der Universitätsausbildung) sind von jener Art, wie auch ich sie hier gelegentlich gern vortrage. Sein 'Pendant' zu meinem Blott
"Die Audi-Index-Intuition" ist seine Erinnerung an den Preis eines Volkswagens:
"
It is not just higher education which has inflated so dramatically. When I was entering college in 1970, a new Volkswagon bug cost $1700. Today, a new bug costs $20,000. This is an increase of 1100%. A person making $20,000 in 1970 would need to be making more than $215,000 dollars today to keep up with that inflation rate.
Then, of course, there are housing prices ..... .
"

Wohl noch mehr als Kuriosität zu sehen ist eine Webseite mit dem Titel
"National Deflation Association,"
die gleichfalls für eine Deflation eintritt:
"Deflation is good for responsible people and bad for the thiefs" lesen wir z. B.
hier.
Ich habe den Eindruck, dass es sich bei dieser "Association" eher um eine Einmann-Schau handelt. Die Kritik an der Deflationshysterie teile ich jedoch, und die Links zu zahlreichen deflationkritischen Artikeln sind nützlich.
Z. B. zu dem Kommentar
"Deflation Theory Is Lemon We Have All Been Sold" von Matthew Lynn vom 18.08.2009:
"
Deflation may be bad for particular interest groups, which happen to be very powerful. It is bad for chief executives. It is easier to keep your profits rising in a mildly inflationary environment. You can just jack up your prices a bit, and you can often cut workers’ wages by stealth by holding wages steady.
The banking industry, which has come to rely on inflation to make highly leveraged loans sustainable, also dislikes deflation. Likewise, it is bad for governments, which use inflation to reduce the value of their debts.
On the other hand, deflation is good news for savers, who get richer just by hanging on to their cash. And it is beneficial for consumers, who get cheaper prices.
"

Anderer Meinung ist Christopher Swan in seinem Kommentar
"Who’s afraid of deflation?" vom 24.08.09 im Reuters-Blog:"..... the notion that deflation is a misunderstood and potentially benevolent economic force is only partially true. Supporters of this theory often cite research from the Federal Reserve Bank of Minneapolis, which showed that falling prices seldom coincide with depression. .....
A swelling dollar can clearly be good news for shoppers as well as for those who are sitting on cash. Deflation is often a result of economic progress — productivity improvements that increase spending power. .....
The current variety of deflationary pressure is far less benign. It stems not from efficiency savings but rather from weak demand. Worse still, it is accompanied by record levels of debt.
Despite frantic efforts to pay off loans, household debt is still around 130 percent of disposable income. This was precisely the combination that Irving Fisher warned about in his celebrated 1933 article on debt deflation.
Under these conditions, the rising real value of debts encourages households and businesses to sell their assets to pay down loans. As fire sales reduce asset prices — stocks and property — real net worth declines further. Output and employment decline, accelerating the slide in prices. ..... To add to the pain, real interest rates increase [das tun sie allerdings bei jeder Deflation!] whether central bankers like it or not, discouraging borrowing and promoting even more savings. “The more debtors pay, the more they owe,” Fisher wrote, since “the liquidation of debts cannot keep up with the fall of prices which it causes”
."
Dass die Gefahr einer deflationären Spirale tatsächlich besteht, ist nicht von der Hand zu weisen. Nur wirft der Autor hier genau wie schon Irving Fisher eine Asset-price-deflation und eine consumer-price-deflation in einen Topf. Eine Deflation der Vermögenswerte nach einer spekulativen Blase scheint mir jedoch eine notwendige Korrektur zu sein; ansonsten würden die Relationen etwa zu den Einkommen auf ewig oder doch zumindest auf sehr lange Zeit verzerrt bleiben. Wie sich das in der Praxis darstellt, hat Patrick Killelea am Beispiel der US-Immobilien anschaulich dargestellt (s. o.).


Nachträge 02.09.2009

Der tschechische Wirtschaftswissenschaftler Josef Sima vom Prager Think Tank
"Liberální institut" hat im Jahr 2004 den Aufsatz "Deflation as a Recipe for a Prosperous Europe " publiziert. Sima ist offenbar ein Anhänger der "Austrians", der sog. Österreichischen Schule der Wirtschaftwissenschaft (Carl von Menger, Eugen von Böhm-Bawerk, Ludwig von Mises, Friedrich Hayek, Murray Rothbard). Nachfolgend seine Zusammenfassung:
"Abstract: In the following text we will analyze the problems stemming from incorrect definitions of inflation and deflation.Then we will put forth a taxonomy of deflation, which will enable us to abandon the confused "macro" view of the deflation issue and to show the flawed comparison between two evils: the smaller one - inflation, and the bigger one - deflation. The analysis will enable us to demonstrate the complete impossibility of justifying an "antideflationary" (i.e. inflationary) policy from an economic point of view, and to prove the thesis about the grave and disastrous consequences of state interventions in the field of money. Short case-studies will shed light upon the main monetary problems in the U.S. and Argentina, and it will also help to understand the necessity of a methodologically anchored, and therefore economically sound, analysis of the deflation problem."
Überhaupt sehen die (in den USA um das
Ludwig-von-Mises Institute gruppierten und im Internet recht deutlich präsenten) die Deflation nicht als Problem. Dass sie zu einem scharfen Konjunktureinbruch führen (oder einen solchen begleiten?) kann, wissen sie natürlich. Doch sei ein solcher nur kurz, wenn Staat und Zentralbank sich heraushalten. Erst durch deren Eingreifen sei die lange Dauer der "Great Depression" in den USA zu erklären, und entsprechend sei auch heute die Finanzkrise noch lange nicht ausgestanden.

Bereits vor Sima, nämlich in 2003, hatte ein anderer "Austrian",
Joseph T. Salerno von der Lubin School of Business, Pace University New York, "An Austrian Taxonomy of Deflation" vorgelegt, also eine Deflations-Taxonomie (wie ich sie in anderer Weise oben entwickelt habe), im Rahmen der Lehren der Österreichischen wirtschaftswissenschaftlichen Schule. Vom Grundsatz her teile ich die Meinung, dass die Deflationsfurcht in der herrschenden wirtschaftswissenschaftlichen und finanzwirtschaftlichen Lehrmeinung übertrieben wird und dass die Reflationierungsbemühungen von Notenbanken und Regierungen äußerst fragwürdig sind. Allerdings erscheinen mir die Überlegungen Salernos (und, wenn man dessen Ausführungen als repräsentativ für die Schule ansehen darf, vermutlich der "Austrians" überhaupt) teilweise doch recht abstrakt und lebensfern.
Wenn meine Zeit und Schaffenskraft es zulassen, komme ich auf diesen Beitrag noch zurück; insbesondere möchte ich Salernos Deflations-Taxonomie mit der meinen vergleichen.

Auf Deutsch gibt es ebenfalls einen Aufsatz der, nach einem ersten Einblick, aus Richtung der "Österreicheer" zu kommen scheint. Christoph Fehr, Schaffhausen, konstatiert unter der Überschrift
"Ein Diskussionsbeitrag: Wie schädlich sind eine kleinere Geldmenge und tiefere Preise? Versuch einer Typologisierung der Deflation (Teil 1)" (einen 2. Teil konnte ich nicht finden): "Das Zerrbild der Dreissigerjahre wirkt bis heute nach".


Nachtrag 21.09.2009

Lorenzo Bini Smaghi, italienisches Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank (und geldpolitischer Hardliner, wie die Bundesbank keinen besseren stellen könnte), teilt die weit verbreitete Kritik an der Niedrigzinspolitik von Alan Greenspan in den Jahren 2003 / 2004 und sieht darin eine zentrale Ursache der gegenwärtigen Wirtschaftskrise.
Der Name Greenspan wird natürlich nicht genannt, aber nur so wird seine Meinungsäußerung verständlich, die Mark Schrörs in der Financial Times Deutschland vom 19.04.2009 unter dem Titel
"Deflationsangst. EZB-Notenbanker warnt vor Überreaktion" wie folgt wiedergibt (meine Hervorhebungen):
"EZB-Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi hat eindringlich davor gewarnt, aus überzogenen Deflationsängsten einen zu aggressiven geldpolitischen Kurs einzuschlagen. "Wir sollten nicht vergessen: Fehler bei der Vorhersage einer Deflation, das heißt der Deflation eine zu große Bedeutung beizumessen, sind zentrale Gründe für die jetzige Krise", sagte der Italiener, der im Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) die Geldpolitik mit bestimmt, der FTD. 2003 und 2004 seien die Leitzinsen aus "übertriebenen Deflationsängsten" zu stark gesenkt worden."
Interessant ist auch Bini Smaghis Vortrag
"Careful with (the D) words!" vom November 2008. Besonders bemerkenswert folgende Passagen (meine Hervorhebungen):
"3.
What is not deflation?
Not all declines in the price level are deflation. First, individual prices can and do fall. In the euro area, for example, price of computers have fallen substantially and nobody has complained. Even the overall consumer price index, such as the euro area HICP, can fall from time to time on account of seasonal factors as well as in the wake of large changes in import or energy prices. The consumer price index might also fall if, following an exogenous shock, the equilibrium price level is lowered and the economy is flexible enough to achieve the adjustment quite rapidly. I would call this adjustment disinflation, which can entail a temporary negative inflation in order for the price level to achieve its new equilibrium level. Disinflation can also be associated with a negative growth of aggregate demand, at least temporarily. However, the quicker the adjustment in prices takes place, the lesser will be the output cost of the adjustment.
The difference between deflation and disinflation is neither the possibility of a negative price change, nor the association with a fall in output. The difference is that, in a deflation scenario, expectations of price changes turn negative and induce agents to postpone consumption and investment decisions. It’s the negative inflation expectations that pushes the (ex-ante) real interest rate up, even when the nominal interest rate is brought down to zero, above its equilibrium level
."
Lorenzo Bini Smaghi will also unter dem Begriff "Deflation" überhaupt nur das subsummieren, was ich oben als "Attendismusdeflation" bezeichnet habe.
Sehr informativ sind seine Datenangaben zu der viel zitierten und voller Schrecken ausgemalten japanischen Deflationsperiode um die Jahrtausendwende:
"Falling below zero in 1995, the inflation rate remained negative, until 2005, averaging 0.1% p.a.. On the other hand, overall production did not suffer as much during this period. From its previous peak in 1990, of above 5%, GDP growth declined to a standstill in 1992-1993. Between 1995 and 2007 Japan’s per capita GDP grew at an average yearly rate of only 1.2%, against 1.8% in the euro area and 1.9% in the US."
Mit anderen Worten: es gab überhaupt keine Verbindung zwischen der Rezession (1992/1993) und der Deflation (1995 ff.)! Vielmehr wuchs die japanische Wirtschaft im Zeitraum von 1995 - 2007 sogar mit etwas über einem Prozent pro Jahr. Das ist nicht berauschend, verglichen mit China - oder mit den USA. Aber im Gegensatz zu China war es ein Wachstum von einem hohen Basisniveau aus, und im Gegensatz zur amerikanischen Scheinblüte vermutlich ein solides Wachstum. Und das Ganze trotz einer (wie in Deutschland) alternden Bevölkerung! Offenbar herrscht in der öffentlichen Darstellung der japanischen Rezession sehr viel Panikmache, die vermutlich nicht frei ist von Schadenfreude über den vermeintlichen Sturz des einst so gefürchteten 'gelben' Konkurrenten.
Allerdings steht diesem Miniwachstum eine stark gewachsene Staatsverschuldung gegenüber. Man muss sich fragen, wie sich die japanische Wirtschaft ohne die gigantischen Konjunkturprogramme entwickelt hätte. Möglicherweise wäre sie dramatisch abgestürzt, in eine Depression wie die USA (und anschließend ein großer Teil - nicht alle - der anderen Länder) in 1929 ff. So betrachtet, waren die oft (z. B.
hier mit einer Fülle von Daten durch John H. Makin) als erfolglos verschrieenen Krisenreaktionen der japanischen Regierung (Konjunkturprogramme) und Notenbank (Zinssenkungen) möglicherweise doch sehr erfolgreich.


Nachtrag 15.03.2010
Einen guten Überblick über die Deflationsproblematik, insbesondere auch über die Gefahren einer Deflation, gibt Aufsatz
"Zur Diskussion über Deflationsgefahren in Deutschland" aus dem Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für den Juni 2003.


Textstand vom 16.06.2023

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