Donnerstag, 25. Oktober 2012

Pestärzte der Volkswirtschaftslehre in der Target2-Debatte


Bevor Sie mit dem Lesen des nächsten Absatz beginnen, beantworten Sie bitte für sich im stillen Kämmerlein eine Frage (selbst wenn sie sie für befremdlich halten sollten): Kann man einem Land Geld leihen, wenn man unter „Land“ nicht den Staat bzw. die Regierung versteht (und natürlich auch kein Bundesland, sondern ein „richtiges“ Land)?

Wenn ich mir als Laie die wirtschaftswissenschaftliche Debatte über die Natur und die Risiken der Debatte um die Salden aus dem Zahlungssystem „Target2“ in der Eurozone anschaue, fühle ich mich in einen Gelehrtenkongress von Pestärzten der frühen Neuzeit (vgl. Abbildung; andere) versetzt. Da kloppen sich die Wissenschaftler wie die mittelalterlichen Scholastiker sozusagen um die Anzahl der Engel, die auf eine Nadelspitze passen. Und oft geht es noch nicht einmal darum, sondern nur um die Debattenbeiträge der Kollegen: Was wer gesagt habe, wieviele draufpassen.

Einfach die Realität zu beobachten ist freilich nicht gar so einfach, wie man glauben sollte. Das muss ich leider schon bei Ihnen, liebe(r) Leser(in), feststellen. Sie haben nämlich mit 99,9% Wahrscheinlichkeit meine Eingangsfrage falsch beantwortet.

Wenn Sie die Frage bejaht haben, haben Sie Recht. Schließlich wird ein Land nur durch seine Regierung rechtswirksam vertreten. Falls ich den USA einen Kredit geben will, muss ich einen entsprechenden Vertrag abschließen, der vom US-Präsidenten unterzeichnet wird. Oder Staatsanleihen kaufen, was letztendlich auf dasselbe hinausläuft: So oder so schuldet mir dann der amerikanische Staat, vertreten durch die amerikanische Regierung, XXX US-Dollar. Gebe ich dagegen irgendeinem „John Doe“ einen Kredit, haftet nur der persönlich, nicht „die USA“.

Wenn Sie „nein“ gesagt haben, liegen Sie ebenfalls richtig. Schließlich kann ich (um den faktischen Weg eines Geldumtausches hier gedanklich abzukürzen) zur Fed in New York gehen, 10.000 € dort einzahlen und die entsprechende Menge Dollar (beispielsweise 12.000 USD) entgegennehmen. Dann habe ich (auch wenn das manchen spanisch vorkommen mag) tatsächlich „den USA“ einen Kredit i. H. v. 10.000,- € gegeben. Denn mit diesem Geld kann jetzt irgendein US-Amerikaner (wer genau, müssen die unter sich ausmachen) lustig bei uns einkaufen gehen, z. B. Kuckucksuhren. „Amerika“ zahlt mir diesen Kredit zurück, indem ich mit meinen US-Dollar in der Tasche dort rumreise, und lustig „Lobster“ (Hummer) verspeise – bis die 12.000 Dollar verbraucht sind. (Im Ergebnis wurden also deutsche Kuckucksuhren gegen amerikanische Hummer eingetauscht. Damit hat „Amerika“ seinen von mir erhaltenen Kredit wieder zurückgezahlt; die USA und ich sind „quitt“.) In gleicher Weise gibt natürlich aus volkswirtschaftlicher Sicht auch eine deutsche Geschäftsbank „den USA“ einen Kredit, wenn sie einer amerikanischen Geschäftsbank Geld leiht. Die US-Bank kann es an irgendeinen Kunden in den USA weiterverleihen; an welchen, ist der deutschen Bank egal.

Jede Antwort ist also richtig – und zugleich sollen beide falsch sein? Bimmeln bei dem Verfasser dieses Artikels vielleicht zu viele Kuckucksuhren im Geiste? (Übrigens: Soweit nicht anders erwähnt, ist nachfolgend mit „Verfasser“ immer der Artikelschreiber gemeint, also ich.) Nun, die Sache ist letztlich ein reines Kommunikationsproblem. Wir sind allzu sehr darauf gedrillt, Fragen mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Dadurch versäumen wir es häufig, die notwendige Vorprüfung anzustellen: „Ist die Frage überhaupt eindeutig, oder lässt sie in der vorliegenden Form vielleicht mehrere, ggf. sogar scheinbar widersprüchliche Antworten zu? Muss erst präzisiert werden, welcher Aspekt gemeint ist, bevor ich sie einfach bejahen oder verneinen kann?“ So kloppen sich selbst Wissenschaftler nicht selten darum, wer „Recht“ hat, obwohl sie etwas völlig anderes meinen bzw. von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehen. Nur teilen sie ihrem Diskussionspartner das nicht mit, und sind sich in diesen Fällen vor allem auch selbst nicht darüber im Klaren. Und auch Sie haben, ob Sie die Eingangsfrage nun so oder so beantwortet haben, dabei unbewusst stillschweigende Voraussetzungen gemacht, die nicht selbstverständlich sind. Nur so lässt es sich erklären, dass sowohl Ihre Antwort als auch das genaue Gegenteil zutreffend. (Und mit dem Wissen um die Hintergründe lassen sich die Schein-Widersprüche auflösen.)

Vorliegend wäre also die eigentlich richtige Reaktion gewesen, die Eingangsfrage in der vorliegenden Form zurückzuweisen, dem Verfasser also zu entgegnen: „Erklären Sie gefälligst erst einmal, was genau Sie meinen: die juristische oder die volkswirtschaftliche Seite?“. Oder aber, zwar die Frage zu beantworten, dabei jedoch beide Komponenten einzubeziehen: „Das kommt darauf an, wie Sie das meinen. Im juristischen Sinne kann ich nur einem Staat Geld leihen, nicht einem Land. Im volkswirtschaftlichen Sinne kann es, je nach Zusammenhang, durchaus Sinn machen zu sagen: ‚Deutschland hat Spanien (usw.) Geld geliehen‘, auch wenn keine Kredite an den spanischen Staat geflossen sind“.

Dem amerikanischen Kuckucksuhren-Käufer kann es gleichgültig sein, woher sein Geld kommt. Ob er ein Staatsbediensteter ist, dessen Gehalt vom Staat aus ausländischen Krediten bezahlt wird (denken wir an Griechenland!), ob er bei seiner Bank einen Kredit aufnimmt, den die ihm nur deshalb geben kann, weil sie sich ihrerseits bei einer deutschen Bank Geld geliehen hat, oder ob er sein Geld nur dadurch überhaupt in Euro umtauschen (und damit in Deutschland Kuckucksuhren einkaufen) kann, dass ich zuvor bei der Fed einen entsprechenden Euro-Betrag eingezahlt habe.

Und dem Kreditgeber kann es im Prinzip gleichgültig sein, ob sein Geld letztlich bei John Doe oder Lisa Miller landet, und wer von den beiden sich Kuckucksuhren dafür kauft. Haftungsrechtlich ist für den Kreditgeber lediglich die Bonität seines Vertragspartners von Belang, es kommt also nur darauf an, mit welcher Person bzw. Institution er rechtlich den Kreditvertrag abgeschlossen hat. Insoweit gibt es drei Möglichkeiten:

1.     Kreditvertrag mit dem Staat (in einfacher Form durch Kauf von Staatsanleihen). Geht der Staat pleite, ist das Geld futsch. Eventuelle sonstige Forderungen, die der Kreditgeber gegen eine private Bank (Ziff. 2) oder gegen die amerikanische Zentralbank, die Fed, hat (Ziff. 3; faktisch: gegen die US-Volkswirtschaft als sozusagen „Gesamtschuldnerin“!) werden davon nicht unmittelbar berührt.

2.     Kreditvertrag mit einer Geschäftsbank innerhalb des ausländischen Staates (deutsche Bank leiht US-Bank Geld). (Die Möglichkeit, Geld ins Ausland von Privat zu Privat zu verleihen, bei Banken anzulegen oder in Anleihen ausländischer Wirtschaftssubjekte, ist hier gedanklich eingeschlossen. In der Praxis dürfte sie allerdings weniger relevant sein.) Geht die ausländische Bank pleite, hat die deutsche Kreditgeberin gelitten (von Sicherungssystemen oder einem evtl. Eintreten des Staates mal abgesehen). Geht dagegen der Staat pleite, besteht die Forderung gegen die Bank (z. B. gegen eine hypothetische Firma namens „Godman Sucks“) selbstverständlich weiter. Nur wenn die Godman-Sucks-Bank so viele US-Staatsanleihen hält, dass sie vom Staatskonkurs selbst in die Insolvenz gezogen wird, ist – auf diesem indirekten Weg - ihre deutsche Kreditgeberin letztlich dann doch von der US-Staatsinsolvenz mitbetroffen.

3.     Hm: Wer ist denn eigentlich mein Vertragspartner (d. h. wer haftet für den von mir vergebenen Kredit), wenn ich „den USA“ Geld in der Form leihe, dass ich einfach nur meine Euronen bei der Fed in Dollar umtausche? In diesem Falle ist mein „Vertragspartner“ im engeren Sinne die Fed. Früher, als Banknoten noch als Anspruch auf Gold galten, hätte ich einen Anspruch auf eine bestimmte Menge Gold gehabt (das stand seinerzeit wohl auch auf den Banknoten drauf). Aber schon damals war eine Banknote auch und vor allem, und heute ist sie ausschließlich, ein Leistungsanspruch gegen die ausländische Volkswirtschaft als Ganzes. Die US-Volkswirtschaft – von Microsoft bis zum Starbucks-Café - ist es also, die gewissermaßen als Gesamtschuldnerin für die Einlösung meiner Dollar“schuldscheine“ haftet. Dieses Haftungsversprechen löst sie ein, indem sie auf meiner Amerikareise meine Dollars z. B. in Hummer umtauscht, in kalifornischen Wein, Übernachtungen, Canyontouren usw. Diese Dollars sind als sozusagen „Fremdwährungsscheine“ für mich „Kreditbriefe“ (mit „Reiseschecks“ unter dieser Bezeichnung konnten übrigens schon vor Jahrhunderten Leute wie Goethe etwa durch Italien reisen!), welche mir die amerikanische Volkswirtschaft, vertreten durch die Fed, ausgestellt hat. Die kann ich auf meiner Fahrt auf der berühmten Route 66 nach und nach einlösen, indem ich meine Dollars ausgebe, d. h. gegen Güter und Dienstleistungen „eintausche“. (Nicht anders ist es übrigens im Inland mit meinen Euros, aber darum geht es hier nicht.)

·        Daneben gibt es freilich noch einen Aspekt, der zwar nicht die unmittelbaren (haftungs-)rechtlichen Kreditbeziehungen betrifft, der aber speziell in der Target2-Debatte außerordentlich bedeutsam ist. Indirekt ist es für den Kreditgeber in wirtschaftlicher Hinsicht nämlich letztlich doch nicht unwichtig, ob John Doe oder Lisa Miller der/die Kreditnehmer(in) ist. Denn der/die eine kann vielleicht später den Kredit nicht tilgen. Wenn daraufhin seine/ihre Bank (also beispielsweise die griechische „Kreterkrötenkreditbank“) zusammenbricht, hat deren Kreditgeberin (also z. B. die deutsche „Gollmurks-Finanz-AG“) den Schaden.

Wenn man sich diese Zusammenhänge in einem solchen Modell anschaulich vorstellt, mögen sie vielen selbstverständlich oder gar banal erscheinen. Und doch muss man sich solche Hintergründe erst einmal völlig bewusst machen, bevor man in die Target2-Debatte einsteigt. Bzw. man muss sie (wie der Verfasser) langsam verstehen, je tiefer man in diese Diskussion einsteigt. Erstaunlicher Weise scheinen ausgerechnet Wirtschaftswissenschaftler damit nicht selten ihre Schwierigkeiten zu haben. Die zaubern irgendwelche Abstrakta (wie z. B. Leistungsbilanz, Kapitalbilanz, Zahlungsbilanz) aus ihrem Lernfundus hervor und glauben, man müsse nur die Begriffe richtig kombinieren, dann hätte man alles korrekt und umfassend beschrieben. Nur: Diese Begriffe können zwar zum Verständnis der Hintergründe nützlich sein. Wenn man sich aber zu ihrem Sklaven macht kann es passieren, dass man unmerklich auf eine schiefe Bahn gerät, die immer weiter wegführt von der Wirklichkeit. Anders gesagt: Man sollte immer wieder einen Realitätscheck (durch Prüfung der empirischen Daten und/oder durch eine modellhafte Darstellung wie z. B. oben) zwischenschalten. Da wird man sich gelegentlich wundern, wie das jeweilige begriffliche Begriffsbesteck, das wir so bedenkenlos aus unserer Wissenskiste hervorgeholt haben, den jeweiligen Sachverhalt mitnichten richtig, vollständig oder in seinem wesentlichen Aspekt beschreibt.  

Dass das speziell in den Wirtschaftswissenschaften (und vermutlich in den Geisteswissenschaften allgemein) nicht selten der Fall ist, demonstriert eine einfache Überlegung. Wenn mit dem jeweils Gesagten wirklich alles klar wäre, würden sich die Wissenschaftler nicht häufig wie die Kesselflicker um die richtige Deutung streiten. Vor allem wären sie aber dann in der Lage, zunächst einmal überhaupt eine klare Darstellung zu liefern, was (im vorliegenden Falle) das „Target2-Risiko“ für Deutschland bedeutet. Indes habe ich in jenen zahlreichen Debattenbeiträgen im Internet, von Wissenschaftlern wie von Laien, noch nicht einen einzigen gelesen, der diese Risikodimension eindeutig und einleuchtend beleuchtet hätte. Das schafft noch nicht einmal der führende Experte zur Target2-Problematik, der Münchener Professor Dr. Hans-Werner Sinn. Der hat vor Kurzem ein ganzes Buch über das Thema veröffentlicht („Die Target-Falle“). Und vorher hatte er sich bereits in zahlreichen populären wie wissenschaftlichen Beiträgen mit dem Thema auseinandergesetzt. Zum Beispiel in den Aufsätzen: „Target-Kredite, Leistungsbilanzsalden und Kapitalverkehr: Der Rettungsschirm der EZB“ vom 24.06.11 (hier; zusammen mit Timo Wollmershäuser) oder brandaktuell (22.10.2012) auf dem wirtschaftswissenschaftlichen Internetportal „Vox“ unter dem Titel „TARGET losses in case of a euro breakup“ („Targetverluste bei Zerfall der Eurozone“ 22.10.2012; hier). Das von Prof. Sinn geleitete Münchener Ifo-Institut hatte sogar (am 31.08.2011) einen umfangreichen Sammelband mit Aufsätzen zahlreicher Wissenschaftler und Notenbankexperten herausgebracht („Die europäische Zahlungsbilanzkrise“; hier).

Obwohl der Mann also mit Sicherheit alles weiß, was man über dieses Zahlungssystem sagen kann, schreibt er z. B. in seinem o. a. Buch (S. 276): „Hört das Eurosystem auf zu existieren, … [sind] die deutschen Forderungen vermutlich nicht mehr einzutreiben“. (Warum das vermutlich falsch ist, zeigt der Verfasser unten.) Und in seinem o. a. Aufsatz „TARGET losses …“ setzt er sich gegen den Schluss zu in 4 Punkten großenteils mit den (in der Tat abstrusen) Vorstellungen der Wirtschaftswissenschaftler Paul De Grauwe und Yuemei Ji auseinander, welche diese in einem Aufsatz u. d. T. “What Germany should fear most is its own fear“ („Das größte Risiko für Deutschland ist seine eigene Furcht“; 18.09.2012; hier) vorgetragen hatten. (Ursprünglicher Aufsatztitel war anscheinend“How Germany can avoid wealth losses if the Eurozone breaks up: Limit conversion to German residents“ – „Wie Deutschland Verluste vermeiden kann, wenn die Eurozone zerbricht: Geldumtausch auf die Einwohner Deutschlands beschränken“). Eine solche Auseinandersetzung kann natürlich keine transparente Risikodarstellung liefern.

 Eine solche kann man freilich nicht in Form eines „Preisschildes“ erstellen, etwa „Wenn es kracht, kostet uns das 1 Billion €“. Die richtige Antwort besteht vielmehr darin, dass man Szenarien aufstellt: „Wenn das und das passiert, hat Deutschland die und die Risiken“. Diese Risiken müssen zunächst in ihrer Art abgeschätzt werden. Erst wenn man sich volle Klarheit über die Natur des jeweiligen potentiellen „Wenn-Dann-Risikos“ verschafft hat kann man versuchen, die Betragsdimension zu bestimmen (und das nur sehr grob, nicht etwa in Heller und Pfennig).

Leser(innen), die mit der Debatte nicht vertraut sind, werden bisher eine Erläuterung vermisst haben, was „Target2“ denn überhaupt sei. Wer das ganz genau wissen will, kann sich z. B. den einschlägigen Wikipedia-Artikel anschauen (hier). Target2 ist ein elektronisches Zahlungssystem, mit dem in der Eurozone oder, wie es offiziell heißt, „Europäisches System der Zentralbanken“ (ESZB) nationale und grenzüberschreitende Zahlungen innerhalb des Bankensystems abgewickelt werden. (Mehr darüber z. B. in diesem Dokument der Bundesbank). Über dieses System laufen Transaktionen (Zahlungen)

a) zwischen Banken (zur Unterscheidung von den Notenbanken auch als "Geschäftsbanken" bezeichnet) untereinander,

b) zwischen Geschäftsbanken und Zentralbanken (auch „Notenbanken“ genannt; und zwar sowohl der einzelnen Länder – für Deutschland also der Bundesbank – wie auch der Europäischen Zentralbank – EZB - als sozusagen „zentralster Zentralbank“), und

c) natürlich auch der Notenbanken (der nationalen und der EZB) untereinander.

Innerhalb dieses Zahlungssystems sind zwischen den einzelnen Ländern (bzw. konkret, und das ist wichtig: zwischen deren Notenbanken!) Ungleichgewichte entstanden. Manche nationalen Zentralbanken (speziell die von Prof. Sinn so benannten „GIPS“-Länder: Griechenland, Irland, Portugal und Spanien) haben hohe Schulden. Dem entsprechend halten andere (insbesondere Deutschland, Luxemburg, die Niederlande und Finnland) hohe Forderungen. Schulden und Forderungen bestehen formalrechtlich jeweils gegenüber der EZB. Ökonomisch betrachtet (und das dürfte bei einem Zusammenbruch der Eurozone entscheidend sein) sind es aber eigentlich Forderungen der nationalen Notenbank untereinander. Um das zu verstehen muss man wissen, wie derartige Forderungen entstehen können (und tatsächlich auch entstanden sind). Insoweit sind zwei bzw. drei alternative Möglichkeiten zu unterscheiden.
 
A) „Leistungsbilanzdefizit“, im Beispielfalle in Irland. (Wo es ein Defizit gibt muss es in der Buchhaltung notwendig einen Ausgleichsposten geben; im konkreten Beispiel ist das ein Leistungsbilanzüberschuss in Deutschland.)

Ein irischer Bauer kauft einen Traktor in Deutschland. (Dieses später auch von anderen Debattenteilnehmern verwendete Beispiel hatte ursprünglich der FAZ-Journalist Stefan Ruhkamp in die Diskussion eingeführt; vgl. hier.) Für den Traktorkauf muss er einen Kredit bei seiner irischen Bank aufnehmen (unterstellt: in voller Höhe des Kaufpreises). (Theoretisch ginge das natürlich auch in Deutschland, praktisch ist das freilich extrem unwahrscheinlich.) Seine Bank hat aber leider sämtliche bei ihr eingelegten Kundengelder verliehen (Kassenbestände und Mindestreserven, die die Geschäftsbanken bei den Notenbanken halten müssen, können wir in diesem Modell außen vor lassen). Folglich muss sich die Bank erst selber irgendwo Geld leihen, bevor sie dem Bauern einen Kredit geben kann.  

In der Zeit vor der Finanzkrise (d. h. vor dem August 2007; damals begann die von den USA ausgehende Krise, also nicht etwa erst mit dem Lehman-Kollaps im September 2008!) hätte sie sich den Kredit vielleicht bei der Deutschen Krakenbank geholt. Die traut aber jetzt der Guinnnassbank nicht mehr und rückt keinen sog. Interbanken-Kredit für die Iren raus. Glücklicherweise (für „Irland“ – für Deutschland evtl. weniger) hat die EZB mittlerweile ihre Sicherheitenstandards abgesenkt. Jetzt darf die im Auftrag der EZB handelnde irische Notenbank auch so etwas wie den Kreditvertrag mit dem Bauern als Sicherheit akzeptieren und gibt gegen dessen Hinterlegung der irischen Bank einen Kredit. Den „bezahlt“ die irische Nationalbank, indem sie Euros „druckt“ – bildlich gesprochen. Real schreibt sie den Betrag auf dem Konto der Guinnassbank gut. Jedenfalls: Die irische Nationalbank holt sich das Geld nicht irgendwo, sondern „schöpft“ es, wie man sagt, selber („Geldschöpfung“). Intern bucht die Notenbank natürlich eine Forderung gegen die irische Geschäftsbank ein.  

Die Zentralbank-Forderung gegen die irische Geschäftsbank ist nun doppelt gesichert (was aber keineswegs heißt, dass sie wirklich sicher ist). Zum einen haftet natürlich die Guinnassbank. Mit dieser, nicht mit dem Bauern, hat schließlich die „IZB“ (wie wir die irische Zentralbank nennen wollen) ihren Kreditvergabevertrag abgeschlossen. Geht die Guinnassbank pleite, hat die IZB immerhin noch deren sozusagen „Ursprungskreditvertrag“ mit dem Bauern in der Hand. Sie kann also den Bauern anschreiben und ihn auffordern, zukünftige Tilgungsraten nicht mehr an die Geschäftsbank (bzw. konkret: an deren Insolvenzverwalter) zu begleichen, sondern direkt an die IZB. Insoweit, als der Bauer einen Teil schon getilgt hat, oder wenn er gar selber pleite ist, muss die irische Notenbank den Kredit natürlich endgültig abschreiben. 

Nun muss nur noch der deutsche Traktorhersteller an sein Geld kommen. Das geschieht, indem die irische Zentralbank den Kaufpreis (also den Kreditbetrag) vom Konto der Guinnassbank wieder belastet, und der Bundesbank überweist, und zwar über das Zahlungssystem TARGET2. Die Bundesbank schreibt es dann dem bei ihr bestehenden Konto der Hausbank des Traktorherstellers gut, die es ihrerseits auf dem Firmenkonto einbucht.
 
Bisher habe ich die rechtlichen und abwicklungstechnischen Zusammenhänge geschildert. Volkswirtschaft stellen sich die Zusammenhänge wie folgt dar: 

Die deutsche Firma hat einen Traktor nach Irland exportiert. Man könnte das Beispiel variieren und sich vorstellen, dass sie dem irischen Bauern direkt einen Kredit gibt; dann wäre sie selber im Risiko und alle Ebenen des Bankwesens (also Geschäfts- und Notenbanken) wären außen vor. Das war nicht der Fall; das individuelle Kreditrisiko gegenüber dem Bauern trägt, in der ersten Stufe, die irische Bank (in der 2. Stufe das europäische Notenbanksystem; eventuelle Verluste der IZB werden nämlich anteilig umgelegt – Gewinne natürlich ebenfalls). 

Eine weitere Variante wäre die historische Situation, als Irland noch seine eigene Währung hatte („Punt“), und Deutschland ebenfalls. Der Bauer bezahlt den Traktor in bar. Damit hat der Traktorhersteller in diesem Szenario keine Individualforderung gegen den Bauern, sondern eine Forderung gegen die irische Volkswirtschaft insgesamt. Dann gibt es wiederum zwei Möglichkeiten: 

a) Schließt der Traktorhersteller die Punt in seinen Tresor ein, behält er seine Forderung gegen die irische Wirtschaft. Je nachdem, wie sich dort die Lage im Vergleich zu Deutschland entwickelt, kann das ein Risiko oder eine Chance sein. Risiko bzw. Chance materialisieren sich in Gestalt des Wechselkurses. 

b) Der Traktorhersteller tauscht die Punt (faktisch über seine Geschäftsbank, aber letztlich bei der Bundesbank) in DM um (unser Beispiel bildet ja die Vor-Euro-Zeit ab). Wer DM in der Hand hält, hat eine Forderung gegen die deutsche Volkswirtschaft. (Diesen nicht unwichtigen Sachverhalt übersehen z. B. die Gewerkschaftsökonomen Gustav A. Horn und Fabian Lindner in ihrer auch sonst an Denkfehlern nicht armen Arbeit „Kein Kapitalabfluss aus Deutschland. Eine Fundamentalkritik an Hans-Werner Sinns Kapitalexport-These“ vom 23.05.2011 – hier.) Der Traktor-Hersteller hat also seine Forderung gegen die irische in eine Forderung gegen die deutsche Volkswirtschaft umgetauscht. Und wer hat jetzt die Forderung gegen die irische Wirtschaft? Natürlich die Bundesbank, denn bei der sind ja die Punt gelandet, und die hat dafür DM „gedruckt“, die sie (letztlich) dem Traktorhersteller übergeben hat. Was ist aus dem geworden? Nun, das Wechselkursrisiko liegt immer dort, wo auch die Punt liegen; jetzt also bei der BuBa. Wenn diese die Punt (hypothetisch) 1 : 1 umgetauscht hatte (Gebühren lassen wir beiseite), dann hat sie z. B. 100.000,- DM an den Traktorhersteller gezahlt, und verbucht die Punt als Forderung (an die irische Notenbank) ebenfalls mit 100.000,- DM. Fällt der Wechselkurs dergestalt, dass man z. B. für eine DM 2 Punt bekommt, ist das Punt nur noch die Hälfte wert und die Bundesbank muss ihre Bilanz entsprechend berichtigen. Das Punt-Guthaben (das ursprünglich aus dem Traktorexport von Deutschland nach Irland herrührt) darf sie nur noch mit 50.000,- DM bewerten. Auf der anderen Seite musste sie aber die an den Traktorhersteller ausgezahlten 100.000,- DM als Verbindlichkeit, also als „Schulden“, bilanzieren. Wäre sie eine Geschäftsbank, und diese beiden Positionen wären ihre einzigen Bilanzposten, wäre sie pleite: Sie wäre überschuldet, weil sie „der Wirtschaft“ 100.000,- DM schuldet, aber nur noch 50.000,- DM an Vermögen hat.  

Die Vorstellung, dass das von der BuBa gedruckte Geld „Schulden“ für die Notenbank sind, leuchtet wahrscheinlich nicht jedem ein. Aber wenn Sie sich das Wechselgeschäft in der umgekehrten Richtung vorstellen, wird das deutlicher: Der Traktorhersteller möchte in Irland Butter en gros kaufen und tauscht dafür seine 100.000,- DM wieder bei der BuBa in Punt zurück. Da man wegen des Punt-Kursverfalls jetzt für eine DM 2 Punt erhält, muss die BuBa 200.000,- Punt rausrücken, obwohl sie selber damals nur 100.000 Punt erhalten (und diese im Tresor aufbewahrt) hat. Also muss sie am Devisenmarkt 100.000 Punt dazukaufen und dafür 50.000,- DM bezahlen. 

Jede Geschäftsbank (wie die BuBa im vorliegenden Modell ohne weitere Bilanzpositionen gedacht) wäre, selbst wenn sie bis dahin ihre Überschuldung durch vorsätzliche Falschbilanzierung verschleiert hätte, spätestens an diesem Punkt pleite: sie hat das Geld ganz einfach nicht. Bei einer Zentralbank ist das anders, die kann Geld selber herstellen so viel sie lustig ist: „Hast du keins, druck dir eins“. Das bleibt natürlich nicht ohne (inflationäre) Folgen für die Wirtschaft, wenn sie das im großen Maßstab tut bzw. tun muss. Aber jedenfalls geht sie – auch das eine wichtige Erkenntnis aus der Internet-Debatte für unser Thema – nicht pleite; sie kann beliebig tief in den Miesen stecken. Weil eine Notenbank nicht insolvent werden kann, muss sie der Steuerzahler auch nicht „raushauen“. Dennoch kommen wir Bürger nicht ungeschoren davon. Zum einen zahlen wir ggf. via Inflation (gelegentlich, und durchaus zutreffend, auch als „Inflationssteuer“ bezeichnet). Aber auch als Steuerzahler werden wir zur Kasse gebeten. Soweit die Bundesbank in den Folgejahren – nachdem sie die Devisenverluste abgeschrieben hat – Gewinne macht, wird sie diese zur Tilgung ihrer Verlustvorträge einsetzen. Ansonsten hätte sie die Gewinne an den Finanzminister abgeführt. Insgesamt tragen also die Steuerzahler tatsächlich die ggf. riesigen Verluste. Trotzdem können wir das wirtschaftlich verhältnismäßig problemlos verdauen, weil die Miesen im Staatshaushalt nicht auftauchen. Sie sind - in Form der jährlich entgangenen Bundesbankgewinne – einfach nicht da, das merkt überhaupt niemand. Der ganze große Verlustbatzen, der sich in der BuBa-Bilanz angesammelt hat, schlägt sich im Staatshaushalt also nur langsam in einer langen Zeitspanne nieder.

Das ist eine wichtige Einsicht für unsere spätere Verlustanalyse, aber noch zwei weitere Umstände sind zu erwähnen. Zum einen, dass sich die Forderung der Bundesbank (und damit Deutschlands i. S. der deutschen Volkswirtschaft) nicht gegen den irischen Staat richtet. Der darf, aus dieser Perspektive betrachtet, ruhig pleitegehen: Mit unseren Punt können wir immer noch die (Vorsicht SchleichwerbungJ) gute irische Butter kaufen. Deswegen ist das Risiko dieser Target-Forderungen auch keineswegs identisch mit dem Risiko beispielsweise der ESM-Kredite, oder von hypothetischen Eurobonds. Rein abstrakt weiß ein Mann wie Prof. Sinn das natürlich auch. Aber anscheinend überlagert sein Unbewusstes dieses abstrakte Wissen immer wieder mit der Vorstellung „Wenn (z. B.) Griechenland pleitegeht, verlieren wir unsere Forderungen“. Nur mit einer unterbewussten Gleichsetzung von „Land“ (i. S. von Volkswirtschaft) mit „Staat“ kann sich der Vf. bei Sinn Sätze erklären wie: „Für Gläubigerländer, allen voran Deutschland, sind die Target-Kredite ein Risiko, wie es auch andere öffentliche Hilfskredite sind. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, muss man die Forderungen abschreiben, und die Güter und Vermögensobjekte, die mit dem Target-Geld in den Kernländern erworben wurden, kommen nie wieder zurück. Dabei werden die deutschen Abschreibungsverluste freilich durch die Sozialisierung der Geldschöpfungsgewinne und -verluste im Euroraum reduziert, weil sich alle solvent bleibenden Notenbanken diese Verluste nach ihren Kapitalschlüsseln teilen.“ (Aus dem FAZ-Vorabdruck vom 08.10.2012 „So wurden die Euro-Retter erpressbar“ aus Sinns Buch „Die Target-Falle“; hier). Oder noch krasser, an gleicher Stelle: „Noch schlimmer würde es für Deutschland ausgehen, wenn der Euro zerbricht, denn in diesem Fall hat Deutschland eine Target-Forderung gegen ein System, das es nicht mehr gibt. Dann liegt der deutsche Target-Verlust auf der Basis der obigen Zahlen im August 2012 nicht bei 416 Milliarden Euro wie beim Austritt der GIIPSZ-Länder, sondern bei 727 Milliarden Euro. Mit den Forderungen aus dem offenen Rettungsschirm ESM wäre Deutschland in diesem Fall noch deutlich besser bedient, denn einerseits wäre es nur mit seinem Kapitalanteil beteiligt und andererseits blieben die Staatspapiere auch dann noch rechtsgültige Forderungstitel, wenn der Euro durch andere Währungen ersetzt werden sollte. Sie sind zwar von einem Schuldenschnitt und einem Abwertungsverlust bedroht, doch nicht vom Ausfall der Rechtsgrundlage.“

Eine solche Entwicklung ist zwar theoretisch möglich; sie ist aber praktisch extrem unwahrscheinlich. Bevor wir das begründen, bzw. überhaupt in die eigentliche Risikoanalyse einsteigen, müssen wir erst noch einen weiteren Weg vorstellen, auf dem „irische Euronen“ (oder, was jedenfalls für ein bestimmtes Eurozonen-Zerfalls-Szenario dasselbe wäre: irische Punt) als Forderungen in die Bundesbank-Bilanz gelangen können.

B) Fachsprachlich nennt man das ein (irisches) „Kapitalbilanzdefizit“, dem wiederum ein Kapitalbilanzüberschuss in Deutschland entspricht. (Das ist jedenfalls die wirtschaftliche Ausgangskonstellation; buchhalterisch wird das irische Defizit durch die Geldschöpfung der IZB ausgeglichen. In Deutschland ist es komplizierter. Hier erfolgt der Ausgleich in der Form, dass die Geschäftsbanken ihre bei der BuBa aufgenommenen Kredite zurückführen. Falls sie das nicht mehr tun, sondern ihre eigene Kreditvergabe ausweiten, oder wenn sie alles zurückgezahlt haben, dann Gnade uns Gott, dann stehen nämlich die Chancen gut für eine saftige Inflation.) Bei den Geldtransfers von Irland nach Deutschland (um die geht es hier genauso wie im vorigen Beispiel, nur dass „wir“ jetzt keine Waren nach Irland liefern) lassen sich noch zwei verschiedene Untergruppen unterscheiden, nämlich:

a) Kapitalflucht: Irische Wirtschaftssubjekte (d. h. Bürger und Firmen) haben Angst, dass die Eurozone zerfällt, dass ihr in Irland auf den Bankkonten liegendes Geld in Punt getauscht wird (was per se noch nicht schlimm wäre, aber:) und dass das Punt am nächsten Tag an den Devisenmärkten in den Keller rutscht. (Konkret würde das, wenn wir unsere o. a. Werte zu Grunde legen, für unseren irischen Bauern bedeuten, dass er dann für einen Traktor in Deutschland 200.000,- „Irenpunt“ hinblättern müsste, statt vorher 100.000,- „Europunt“. Auf seinem Konto stehen – wenn wir unser o. a. Beispiel dahingehend abwandeln, dass er den Traktor ursprünglich in bar bezahlen könnte – aber vorher wie nachher nur 100.000,- stehen. Es macht also sehr viel Sinn für ihn, sein Geld bei der irischen Bank abzuziehen und nach Deutschland zu transferieren.)

b) Repatriierung von Kapital: Deutsche Banken, die irischen Banken Geld geliehen haben (und ebenso natürlich deutsche Bürger und Firmen, die aus irgendwelchen Gründen Geld auf irischen Konten halten) ziehen diese Einlagen ab. Vom Ergebnis her hat das die gleiche Wirkung.

Beide Sachverhalte kann man auch als „Bank Run“, einen Ansturm auf die Banken, bezeichnen. Nur stehen dann nicht (wie bei der Weltwirtschaftskrise um 1930) Menschenschlangen an den Schaltern. Diesen Bank Run sieht nur die Bank, und zwar in Gestalt von Stapeln von Überweisungsaufträgen in den Bankbriefkästen - und anschließend als Fehlbeträge in ihren Büchern. Bei den irischen Geschäftsbanken kommt es jetzt zur Schieflage. Lassen wir die Guinnass-Bank in den Einlagen 120 Mio. € haben, und 100 Mio. € davon als Kredite vergeben (20 Mio. braucht sie für Kassenhaltung und Mindestreserve). Ziehen die Kunden 20 Mio. ab, steht die Bank ohne Kassenbestand da. Wenn der nächste Kunde auch nur einen einzigen Cent abheben will, kann sie ihre Schalter dicht machen. Zentralbanken wurden aber dafür geschaffen, um genau solche Situationen zu verhindern. Deshalb nennt man sie auch „lender of last resort“, also etwa „Kreditgeber der letzten Instanz“. Daher springt die IZB jetzt ein. In der Eurozone gibt es eine feine Unterscheidung, ob die EZB den Kredit vergibt, und nur durch die IZB vertreten wird, oder ob die IZB in eigener Verantwortung Kredite an Banken ausreicht (sog. „ELA“-Kredite: Emergency Liquidity Assistance). Das müssen wir hier aber nicht weiter erörtern; in der Praxis wird es der BuBa und den anderen nationalen Notenbanken wenig helfen, der griechischen Notenbank zu sagen: „Dafür haftest du aber selber“. Jedenfalls nicht aktuell, wenn (wie zu vermuten) die „GZB“ keine Reserven hat. Längerfristig kann man ihr – bei einem Fortbestand der Eurozone – die Schulden von ihren anteiligen Gewinnen allerdings durchaus wieder abziehen.

Eines muss man freilich noch wissen, was der Verfasser in den von ihm gesichteten Aufsätzen bisher noch nirgends thematisiert fand: Pleite ist nicht gleich Pleite. Insoweit ist nämlich zu unterscheiden zwischen

aa) Illiquidität (= nur vorübergehend zahlungsunfähig, weil kein Geld in der Kasse liegt, aber in Kürze wieder zahlungsfähig, wenn ausstehende Forderungen hereinkommen) und

bb) Überschuldung. Eine überschuldete Bank ist definitiv pleite.

Soweit die Kreditnehmer unserer gedachten Guinnass-Bank brav ihre Raten bezahlen, ist die Bank bei einem Abzug von Kundengeldern nur temporär zahlungsunfähig. Dafür darf ihr die IZB aus der Patsche helfen, weil ja (ziemlich) sicher ist, dass die Bank die von der IZB geliehenen Gelder später zurückzahlen kann. Zahlen die Kreditnehmer die Raten aber großenteils nicht, ist die Bank überschuldet und kann ihre Verbindlichkeiten bei der IZB auch später nicht tilgen.  

Nach ihren Statuten dürfte die EZB nur solche Banken helfen, die illiquide, aber nicht überschuldet sind. Ich gehe jedoch davon aus, dass sie in Griechenland, Spanien, Irland, und wohl auch in Zypern und vielleicht Slowenien auch solchen Banken Kredite einräumt, die überschuldet sind. Wenn man hier und da liest, wie viele Kreditnehmer (prozentual) ihre Raten nicht bezahlen, dann kann es gar nicht anders sein. Der Journalist Malte Heynen schrieb z. B. kürzlich in der Wirtschaftswoche (hier): „Allein die ausstehenden Immobilienkredite haben ein Volumen von 1.000 Milliarden €. Es ist ein schlechter Witz, wenn die Spanier behaupten, ihre Banken bräuchten höchstens Notfallhilfen von 62 Milliarden €.“ Aus Reserven oder anderweitigen Gewinnen können die Banken derartige Zahlungsausfälle nicht mehr abdecken. Es spricht also alles dafür, dass die EZB statutenwidrig überschuldete Banken mit Kredit versorgt. Wenn das der Fall ist, agiert die EZB in meinen Augen (vielleicht nicht juristisch, aber auf jeden Fall wirtschaftlich) absolut kriminell. Sie nimmt dann nämlich vorsätzlich Verluste in Kauf (die irgendwann eintreten müssen). Zumindest bei Geschäftsbanken dürfte das den Straftatbestand der Untreue erfüllen; ich kann keinen Grund erkennen, warum ein solches Verhalten bei einer Notenbank anders zu bewerten sein sollte. 
 

Mit dieser Feststellung leiten wir zur eigentlichen Analyse des Kreditrisikos über, und die können wir relativ kurz halten, weil wir uns im bisherigen Verlauf alle dafür notwendigen Einsichten bereits erarbeitet haben. 

Zunächst ist klar zu unterscheiden zwischen Target2-Risiken, die bei einem Fortbestand der Eurozone bestehen (und in Zukunft noch weiter auflaufen können) und solchen, die bei einem Zerfall drohen.

Bei einem Fortbestand liegt das Risiko darin, dass die EZB („vor Ort“ vertreten durch die jeweilige nationale Notenbank) das von ihr ausgeliehene Geld nicht zurückbekommt. Ein solcher Fall würde eintreten, wenn beispielsweise die Kreterkrötenkreditbank bankrottgehen würde, wenn sie als Pfand für den EZB- bzw. GZB-Kredit griechische Staatsanleihen hinterlegt hätte und wenn der griechische Staat gleichfalls insolvent wäre. Freilich sollten die jeweiligen Heimatstaaten ihre Banken „rekapitalisieren“, also deren Verluste übernehmen (was sie nur bei einem Staatsbankrott nicht mehr könnten). Dafür ist ein Teil der Hilfszahlungen an Griechenland reserviert (das die Europäer wohl auf ewig durchschleppen werden), und Spanien hat man zu diesem Zweck 60 Mrd. € bewilligt. Dieser Betrag dürfte aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, wenn die ausstehenden Immobilienkredite dort tatsächlich ein Volumen von 1000 Milliarden € (also einer Billion und mehr als das Dreifache des deutschen Staatshaushaltes!) erreicht haben. Vor diesem Hintergrund muss man wohl auch den Druck mancher unserer „Freunde“ sehen, schnellstens eine Bankenunion einzurichten. Die sind weniger an einer gemeinsamen Aufsicht interessiert, sondern an einer Bankschuldenunion. Die Begleichung der Bankenschulden („Rekapitalisierung“) würde dann nämlich aus dem ESM-Topf erfolgen; die einzelnen Staaten wären haftungsmäßig aus dem Schneider. Der deutsche Steuerzahler müsste (bzw. wird, denn so wird es mit Sicherheit kommen – allerdings erst nach der nächsten Bundestagswahl!) dann die Schulden spanischer Häuslebauer und Immobilienspekulanten bezahlen. Aber die Notenbanken wären natürlich aus dem Schneider wenn es gelingt, die (deutschen und anderen) Steuerzahler an die Hammelbeine zu kriegen. So oder so wird also das sog. „counterparty risk“ (Geschäftspartnerrisiko) der Notenbanken bei uns landen: Als Steuererhöhung, wenn die kaputten Banken in Irland, Spanien, Griechenland, Zypern (und Slowenien? Und Portugal?) aus dem ESM-Fonds „rekapitalisiert“ werden. Oder als Inflationssteuer, wenn die EZB-Mittel in Pleitebanken endgültig versenkt wären. (Inflationssteuer deshalb, weil die EZB dieses Geld abschreiben und erneut „drucken“ müsste, wodurch der Geldumlauf steigen würde.) 

Bei einem Eurozonen-Zerfall (und entsprechend bei Austritten) muss man sich (vorher oder hinterher) irgendwie einigen.  

Zum einen würde es um die Nachhaftung für die bis dahin von der EZB (also ohne ELA-Kredite) vergebenen Bankkredite gehen. Muss jetzt das jeweilige Land haften, oder bleibt eine evtl. „EZB i. L.“ (bzw. die Notenbankengemeinschaft, die vorher die EZB getragen hatte) im Obligo? Da wahrscheinlich kein Land eine Bank pleitegehen lassen will, wird man die Haftung letztlich den Heimatländern aufdrücken können. Denn auch nach der aktuell gültigen Rechtslage wären es ja die Heimatstaaten, nicht die Eurozone (via ESM) als Ganzes, die eine Rekapitalisierung finanzieren müssten. Das dürfte ihnen auch leichter fallen, wenn sie wieder selbständige Notenbanken hätten, die nach Belieben Geld drucken könnten. Zwar hätte das inflationäre Konsequenzen, aber daran sind unsere westlichen und südlichen Partner ja gewöhnt. Und zu einer Hyperinflation würde eine Bankenrekapitalisierung mit der Notenpresse nicht führen. Allerdings wären wir auch bei dieser „Inflationssteuer“ mit im Boot: nämlich über Kursverluste unserer Devisenreserven (s. u.). 

Die Nachhaftung für die Bankenrisiken wäre allerdings das kleinere Problem; das größere wären die Target-Forderungen. Dazu schreibt Prof. Sinn in seinem jüngsten Artikel „TARGET losses in case of a euro breakup“ (s. o. bzw. hier):

“If the Eurozone breaks up and the TARGET debtors go bankrupt, there is no clear legal basis for the TARGET claims, and the Netherlands would hold a claim against a system that no longer exists. Neither the ECB bylaws nor the Maastricht Treaty contain any rules for how this case would have to be handled. Should the euro break up, there will probably be a follow-up institution that inherits the ECB’s equity capital, currently about €31 billion. The Netherlands will then have to compete for this equity with Germany, Finland and Luxembourg, who together with the Netherlands hold TARGET claims currently amounting to about €1,000 billion.”
Auf Deutsch etwa:
„Wenn die Eurozone zerbricht und die TARGET-Schuldner bankrottgehen, gibt es keine eindeutige rechtliche Basis für die TARGET-Forderungen, und [zum Beispiel] die Niederlande hätten einen Anspruch gegen ein nicht mehr existentes System. Weder die Regelungen für die EZB noch der Maastricht-Vertrag enthalten irgendwelche Bestimmungen für einen solchen Fall. Bei einem Eurozonen-Zerfall würde wahrscheinlich eine Nachfolgeorganisation eingerichtet werden, die das Kapital der ETB erben würde; das sind aktuell etwa 31 Milliarden €. Die Niederlande müssten sich dann mit Deutschland, Finnland und Luxemburg streiten, die zusammen ca. 1.000 Milliarden [also eine Billion] an offenen TARGET-Forderungen haben.“
Prof. Sinn meint also offenbar, dass sich die Länder mit Target-Forderungen um die 31 Milliarden EZB-Kapital raufen müssten.  

Nun, gar so schlimm wird es denn doch nicht kommen. Zunächst einmal verwechselt Prof. Sinn Staaten und Länder (Volkswirtschaften), wenn er schreibt „und die TARGET-Schuldner bankrottgehen“. Wie alle jene Leser(innen) wissen, die dem Vf. bis hierher folgen konnten und sich noch an das Gesagte erinnern, sind die TARGET-Forderungen nicht aus Kreditvergaben an Regierungen entstanden, sondern sie stellen Kredite der (u. a.) deutschen Wirtschaft an die „GIPS“-Länder (= „GIPS“-Volkswirtschaften) dar. Die TARGET-Schuldner im Sinne von Volkswirtschaften können also gar nicht pleitegehen; die nationalen Notenbanken auch nicht. (Die wahrscheinliche Risikoverteilung bei Insolvenzen der Geschäftsbanken hatten wir bereits oben erörtert.) 

Richtig ist zwar, dass die BuBa gegenwärtig formal keinerlei Forderungen gegen die irische Notenbank hat, sondern nur gegen die EZB. Technisch läuft das wohl so ab, dass zunächst zwar die Ansprüche der Notenbanken untereinander gebucht werden. Diese werden jedoch abends auf die EZB übertragen. Am nächsten Morgen sind damit die Forderungen der BuBa gegen die IZB in Ansprüche gegen die EZB umgewandelt, die Schulden der IZB bei der BuBa in solche bei der EZB.

Wenn man eine „EZB i. L.“ als Nachfolgeorganisation der EZB für deren Abwicklung einrichten würde, gäbe es selbstverständlich eine eindeutige Rechtsgrundlage für die T2-Ansprüche: Die „Überschusszentralbanken“ würden ihre Forderungen gegen die EZB i. L. behalten, die „Defizitzentralbanken“ blieben weiterhin dort Schuldner. Aber so würde es nicht kommen. Zwar muss man die EZB in irgendeiner Weise geordnet abwickeln und wird dazu eine „Rest-EZB“ behalten (die z. B. den Eurotower verkaufen müsste). Aber die Target-Salden werden wieder als Forderungen der nationalen Notenbanken untereinander verbucht werden. Schließlich hat Deutschland ja einen Traktor nach Irland geliefert; da können sich die Iren nach internationalem Recht nicht hinstellen und sagen: „Juckt uns nicht, wir erkennen eure Forderung nicht an“. Und außerdem haben Kapitalflüchtlinge aus den Krisenländern bei uns Bankkonten eingerichtet, Häuser oder Wohnungen gekauft usw. Wenn deren Heimatländer unseren Gegenanspruch nicht anerkennen würden, müssten wir den Besitz ihrer Bürger bei uns beschlagnahmen. Das wäre keine Vergeltungsmaßnahme, sondern die ökonomisch absolut angemessene Reaktion. Anderenfalls hätte ja, volkswirtschaftlich betrachtet, „Irland“ bei uns Immobilien für lau eingekauft. Das wird nicht passieren, denn Regierungen, die sich so verhalten, wären auch international Parias. Wer wollte denen noch über den Weg trauen, wenn sie internationale Verträge abschließen oder Kredite aufnehmen wollen?

Nein; mit den Target-Forderungen würde etwas anderes geschehen. Ich bin sicher, dass man sie einvernehmlich als Devisenreserven behandeln würde. Die Frage ist dann nur noch: In welcher Währung? Insoweit kann die BuBa natürlich nicht einseitig festlegen: “Für uns sind das (vollwertige) ‘Alt’-Euros (also identisch mit Neu-DM oder Nord-Euros), und so buchen wir das Zeug auch”. Jedermann – vor allem die Krisenländer selber – weiß/wissen, dass die Südwährungen oder ein evtl. Süd-Euro gegenüber der DM oder einem Nord-Euro abwerten würde. Sie werden also verlangen, dass die BuBa ihre Forderungen in den jeweiligen Länderwährungen verbucht. Darum kommen wir auch nicht herum; das Abwertungsrisiko müssen wir übernehmen.  

Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass alle Länder bei Auflösung des (oder Austritt aus dem) EWS 1 : 1 umstellen würden: Auf DM, Nord-€, Drachmen, Süd-€: je nachdem. Das passiert natürlich am Wochenende, und am Montag sausen die Wechselkurse der Süd-Euronen bzw. Drachmen usw. in den Keller. Im Schnitt pendelt sich das vermutlich irgendwo zwischen 20 und 30% ein. In der BuBa-Bilanz müssten diese Kursänderungen als Verluste gebucht werden. Aber, wie oben gezeigt, geht die BuBa davon nicht pleite. Und wirtschaftlich materialisieren würden sich das Risiko (und evtl. Inflationsfolgen) dagegen erst dann und insoweit, als Anleger auf diese Devisen zugreifen würden. Ökonomisch würde das, am konkreten Beispiel durchdacht, folgendes bedeuten: Ein irischer Anleger hätte in Deutschland für 100.000,- € ein Haus gekauft. Bei der Bundesbank liegen nach der Euro-Auflösung dafür 100.000,- Punt „Devisenreserven“ (aus der ehemaligen T2-Forderung). Jetzt verkauft der Ire sein Haus für wiederum 100.000,- €. Die tauscht er bei der BuBa in Punt um. Da man aber mittlerweile (hypothetisch) zwei Punt für einen Euro erhält, muss ihm die Bundesbank 200.000,- Punt auszahlen. Genau wie oben im Beispiel des deutschen Traktorherstellers müsste die BuBa also jetzt am Devisenmarkt 100.000 Punt nachkaufen und dafür 50.000,- „Neu-Mark“ bezahlen. Der Verlust ist schmerzlich, doch keine Katastrophe für uns. So sehr wir Prof. Sinn dankbar sein müssen, dass er das Thema in die breite Öffentlichkeit getragen hat (als erster aufgegriffen hatte es – freilich folgenlos - schon Monate vorher ein Leserkommentator namens Bernd Klehn; mehr darüber in diesem – englischsprachigen – Blog-Eintrag des Vf.) und so sehr wir tatsächlich mit Verlusten rechnen müssen: Bei einer Auflösung der Eurozone gehen nach menschlichem Ermessen keineswegs die gesamten Target-Salden verloren.

 Dagegen werden wir bei einem Fortbestand in eine Transferunion hineingezogen, in der man uns auspressen wird wie Zitronen. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende!  

Bitte legen Sie es dem Verfasser nicht als Bosheit aus wenn er abschließend um Verständnis bittet, dass er in diesem „kurzen“ Aufsatz das Thema nicht wirklich erschöpfend behandeln konnte. J

 
Nachträge 28.10.2012
Zwei weitere wichtige Artikel zum Thema trage ich hier nach:
 
"The Mechanics of Intra Euro. Capital Flight", ein "Special Report" der Deutschen Bank von Peter Garber vom 10.12.2010. Darin ist zum einen die Erklärung der buchungstechnischen Verarbeitung von Kapitalbewegungen (die natürlich keineswegs eine "Kapitalflucht" sein müssen) innerhalb des ESZB von Interesse. Zum anderen und ganz besonders aber seinen Vergleich mit den Verhältnissen im US-Fed-Zentralbankensystem. Dort gibt es keine zentrale Verbuchung; das läuft zwischen den einzelnen Zentralbanken (die größtenteils für mehrere Bundesstaaten zuständig sind) untereinander. Auszug aus S. 6:
"The district Federal Reserve Banks are regional. Most cover multiple US states. ..... Their profits and losses impact the fiscal position of the US Treasury, not that of the states, and the profits are paid out to the Treasury as interest on Federal Reserve notes. ..... The Federal Reserve normally implements monetary policy through open market transactions in US government securities. In the 2008-9 crisis, the Fed lent large amounts through the TAF and TALF windows and took large credit risks on the nature of the collateral used, but this did not center on the debt of state governments. It still takes credit risk on the large amount of mortgage-based securities of federal government agencies and GSEs in its portfolio, but again, these are not based on the credit of any given state. It can buy state securities outright or receive them as collateral on loans, but it generally has not done so in large amounts. Finally, its loans to banks are at the discretion of the Federal Reserve, and in normal times, are not at the heart of its provision of central bank liquidity to the markets. In the event of a state debt crisis, the Federal Reserve can always intervene in the municipal bond market if it aims to prevent a generalized financial instability. But while such intervention is an automatic feature of the institutional arrangements of the ESCB, it is at the discretion of the Federal Reserve."
Diese Unterschiede, die letztlich natürlich dadurch bedingt sind, dass das ESZB eben kein Staat ist, sondern nur eine Währungsunion, lassen mich daran zweifeln, dass man die Target-Salden deckeln kann, indem man eine Volumenbeschränkung als Zahl vorgibt. Da müsste man in der Eurozone schon anders herangehen, über die Bonitätsanforderungen usw.

Sehr wichtig ist (oder war zumindest für mich) der Gemeinschaftsartikel "German savers should applaud the growing TARGET balances" ("Deutsche Sparer sollten sich über die wachsenden TARGET-Salden freuen") von Prof. Sebastian Dullien und dem ZEIT-Journalisten (und dortigen "Herdentrieb"-Blogger) Mark Schieritz vom 07.05.12 auf dem wirtschaftswissenschaftlichen Portal "Vox". Die beiden Autoren machen darauf aufmerksam, dass diese Salden auch repatriiertes Kapital enthalten, das von deutschen Banken an jene der Krisenländer verliehen worden war. Indem sie dieses Geld aus diesen Ländern herausgezogen haben, haben sie einen Schuldnertausch vorgenommen: Anstelle der griechischen usw. Geschäftsbanken schuldet ihnen jetzt die Bundesbank das Geld ("... the commercial banks have been able to replace risky foreign assets by safe domestic assets"). Und wenn ein Land den Euro verlässt, wären die Verluste für Deutschland geringer, weil sie unter den Notenbanken der verbliebenen Länder nach dem Kapitalschlüssel der EZB-Anteile aufgeteilt werden.
Hier habe ich wohl die Idee eines Schuldnertausches her, die ich oben ausgeführt habe (Bezahlung des Kauf einer Kuckucksuhr mit Schuldschein = Forderung gegen Käufer; Bezahlung mit Geld - Fremdwährung oder eigene - = Forderung gegen die Volkswirtschaft der jeweiligen Währung insgesamt.
Aber in anderer Hinsicht ist der Artikel noch wichtiger: Er zeigt, dass die deutschen Geschäftsbanken unter einem Austritt eines Landes oder einem Zerfall der Eurozone nicht mehr wie früher leiden würden. Mit anderen Worten: Dass ein solcher für uns risikoloser geworden ist, weil die einschlägigen Forderungen ja ohnehin von den (insolvenzanfälligen) Geschäftsbanken zur insolvenzresistenten Bundesbank gewandert sind. Damit ist die Euro-Rettungspolitik ganz eindeutig noch weniger alternativlos als je zuvor!


Nachtrag 29.10.2012
In seinem Artikel "Die Milliardenlüge" vom 16.02.2012 auf den "Nachdenkseiten" weist Jens Berger zwar zutreffend darauf hin, dass die Steuerzahler Verluste von Notenbank auch dann keineswegs zwingend notwendig ausgleichen müssen, wenn die Notenbanken nach normalen Kriterien überschuldet wären. Aber obwohl er schreibt:
"... eine Zentralbank ... [kann einen Verlust] auch langfristig mit ihren Überschüssen abbauen. Letzteres hat die Bundesbank in den 1960ern und 1970ern in steter Regelmäßigkeit getan. Zwischen 1961 und 1979 konnte die Bundesbank insgesamt nur in vier Jahren Geld an den Bund überweisen, da sie in den übrigen Jahren entweder Verluste machte oder die Verlustvorträge mit Überschüssen abbaute"
verschweigt er seinen steuerzahlenden Lesern allerdings, dass Verlusttilgungen der Bundesbank auf der anderen Seite de facto entgangene Steuererträge des Fiskus sind. Die muss der Staat anderswo reinholen, oder Leistungen kürzen. Stattdessen tönt er:
"Selbstverständlich musste damals der Bund nicht ein einziges Mal für die Verluste der Bundesbank haften, indem er Steuergelder an die Bundesbank überwies."
Das ist richtig, wenn man den Nebensatz "indem er ..." als Einschränkung versteht. Das tut aber kein normaler Leser, und soll er auch nach der Intention des Autors nicht tun. Der soll glauben, dass der Bund "nicht ein einziges Mal für die Verluste der Bundesbank" gehaftet habe. Und das ist eben falsch: Über entgangene Einnahmen hat er andauernd dafür gehaftet, und würde er ggf. in Zukunft auch wieder haften müssen. Der einzige Unterschied ist die Verteilung der Verluste über die Zeit, was sie, wie oben gesagt, natürlich erträglicher für uns macht.


ceterum censeo
Die Steuertöpfe quellen über -
Doch für Verkehr und Bildung ist kein Geld mehr über?
Kein deutsches Geld für Eurozone:
Wir leben besser "Eurotz-ohne"! 

Textstand vom 29.10.2012. Gesamtübersicht der Blog-Einträge (Blotts) auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm.
Eine vorzügliche, laufend aktualisierte Übersicht über die Internet-Debatte zur Eurozonenkrise bietet der Blog von Robert M. Wuner. Für diesen „Service“ ihm herzlichen Dank!
Für Paperblog-Leser: Die Original-Artikel in meinem Blog werden später z. T. aktualisiert bzw. geändert.

14 Kommentare:

  1. Schöne Darstellung, die ich jedoch aus Zeitgründen erst mal nur "quer" gelesen habe.

    (Zitat)
    "Nein; mit den Target-Forderungen würde etwas anderes geschehen. Ich bin sicher, dass man sie einvernehmlich als Devisenreserven behandeln würde."

    In diesem Punkt wäre ich mir ganz und gar nicht sicher. Ja es wäre vernünftig, das Auseinanderbrechen der Euro-Zone in dieser Form geregelt frühzeitig abzuwickeln. Aber es wird m.E. eher später als früher einen Zusammenbruch ohne Regeln geben und dann, ich erlaube mir, Sie leicht geändert zu kopieren, dann gilt eben doch:

    „Juckt uns nicht, wir erkennen eure Forderung nicht an“. Die Kapitalflüchtlinge aus den Krisenländern haben bei uns Bankkonten eingerichtet, Häuser oder Wohnungen gekauft usw. Deren Heimatländer werden trotzdem unseren Gegenanspruch nicht anerkennen. Wir müssten den Besitz ihrer Bürger bei uns beschlagnahmen, werden dies aber nicht tun, obwohl es keine Vergeltungsmaßnahme wäre, sondern die ökonomisch absolut angemessene Reaktion. Volkswirtschaftlich betrachtet hat „Irland“ bei uns Immobilien für lau eingekauft."

    Letzlich reduziert sich alles auf die einfache Frage, ob unsere Papierforderungen aus unserem Handelsbilanzüberschuss gegenüber den PIIGS je eingelöst werden. Dabei ist es völlig gleichgültig, ob diese Papierforderungen über EFSF, ESM, ELA, Target2, Euro-Bonds, Bankenhilfen, Privatkrediten oder wie auch immer kaschiert, prolongiert und(!) erhöht werden. Am Ende wird Deutschland abschreiben müssen, ob vorzeitg und geregelt (schrittweise erst mal nur) 30% oder später ungeregelt 90% bis 100%. Am Ende werden die Forderungen nicht(!) erfüllt werden, ja die PIIGS können diese faktisch auch gar nicht erfüllen, weil bildlich gesprochen der gekaufte Wein schon getrunken und besser der gekaufte Porsche bereits auf einer portugiesischen Küstenstraße "zerlegt" wurde oder die gekauften Vermögenswerte dem staatlichen Zugriff geschickt entzogen werden.

    Aber, damit ich nicht falsch verstanden werde: "It takes two to tango!" Wer wie Deutschland (oder auch China) einen auf ewig Handelsbilanzüberschüsse aufbaut und darauf auf noch stolz ist (Exportweltmeister!), der verkennt, dass er einfach zu viel arbeitet und zu wenig konsumiert. Er verkennt, dass ein Teil seiner Arbeit nur mit Papier(forderungen) bezahlt wird, also zunächst nicht(!!!) bezahlt wird. Wer diese Forderungen anhäuft und nicht einlöst, dieses Potential nicht nutzt, der muss sich nicht wundern, wenn ihm diese Forderungen eines Tages weggenommen werden.

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  2. Hallo RealTerm,

    die ökonomischen Hintergründe der Forderungsentstehung gegen die GIPS-Länder sind klar: wir haben geliefert, die haben mit Schuldscheinen (Geld) bezahlt. Insofern ist das nicht anders als bei unseren Überschüssen gegenüber den USA. Das habe ich oben nicht geschrieben (mein Schlussatz, dass ich in diesem "kurzen" Aufsatz nicht alles behandeln konnte, ist insoweit durchaus ernst gemeint), aber das ist schon wichtig, weil es a) die "Sünden" der Süd-Länder relativiert und b) die Grundsatzfrage aufwirft (oder aufwerfen sollte), warum wir (wie Sie ja auch zu Recht kritisieren), nicht selbst besser leben, sondern unsere Produktion zum großen Teil gegen bloßes Papier verkaufen.

    Wenn allerdings vor diesem eindeutigen Entstehungsgrund unserer Ansprüche unsere Partner unsere Forderungen nicht als Ansprüche gegen ihre Volkswirtschaften (nicht Staaten, das haben Sie richtig verstanden, aber für andere Leser/innen sage ich es hier vorsorglich nocheinmal) anerkennen wollten (sie also nicht zumindest als Forderungen in ihren evtl. €-Nachfolge-Währungen honorieren würden), dann wären es keine Partner mehr, sondern Verbrecher. Auch wenn meine Sympathie für die Süd-Schnorrer definitiv begrenzt ist: So etwas traue ich denen denn doch nicht zu. Und selbst wenn man (wie die Politik das ja nicht selten tut) die Moral außen vor lassen würde: Mit einem derartigen Verhalten würden sie weltweit jeglichen Kredit verlieren.

    Warum sollten sie auch unsere Forderungen bestreiten? Politisch steht nichts auf dem Spiel für die jeweiligen Regierungen. Wir verlangen ja kein Geld von den Staaten, sondern wir verlangen, realwirtschaftlich gedacht, 'die Anerkennung eines Anspruchs auf Lieferung von Leistungen durch die jeweiligen Volkswirtschaften'. Geldwirtschaftliche Kurzform: Die Anerkennung unserer Target2-Überschüsse als Forderungen in den jeweiligen Landeswährungen (entsprechend dem von diesen selbst beim Erstumtausch in ihren Ländern verwendeten Wechselkurs, also höchstwahrscheinlich 1 : 1).
    Für die Bürger ist das viel zu abstrakt, um dagegen zu opponieren. Es zieht ihnen dabei ja niemand (unmittelbar) Geld aus der Tasche. Und die ökonomisch auch nur halbwegs informierten würden auch einsehen, dass sie nicht Geld für Waren hingeben und hinterher sagen können: "Geld? Was Geld? Ihr habt doch nur Papier!" Ein solches Verhalten (von dem ja nicht nur Deutschland betroffen wäre, sondern auch Luxemburg, die Niederlande und Finnland) kann man, wie gesagt, auch vom rein politischen und Interessenstandpunkt ausschließen. Das wäre nämlich nicht nur das Ende der Eurozone; das wäre das Ende jeglicher europäischen Einheit (in früheren Zeiten wäre so etwas ein casus belli gewesen, aber dazu kommt es heute in keinem Falle). Das werden sich die Krisenländer zweimal überlegen, zumal sie, wie gesagt, auch weltweit unter Druck kämen, diese Forderungen zu honorieren.

    Ob dann allerdings WIR diese unsere Devisenreserven jemals einlösen, d. h. damit einkaufen gehen, werden, ist eine ganz andere Frage. Wahrscheinlich auf längere Zeit hinaus nicht. Auch insoweit können die Krisenländer (genau wie z. B. die USA) relativ unbesorgt sein.

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  3. "...am Montag sausen die Wechselkurse der Süd-Euronen bzw. Drachmen usw. in den Keller."

    Das ist nicht entscheidend! Denn was zählt ist die Frage, inwieweit die dann wieder "Deutsche Mark" nach den ganzen wie auch immer und auch TARGET-Debatten wieder zu ihrer alten Stärke - gegenüber Dollar und Yen, die Briten-Spaß-Währung spielt überhaupt keine Rolle mehr - zurückfindet. Es kann auch genausogut sein, daß erst mal die "neue D-Mark" abgewertet wird, weil die Erwartung auf eine Aufwertung in einer derartigen Situation durch nichts gerechtfertigt wäre. Genau dieser Effekt war ja auch bei der Einführung des EURO zu beobachten, weil in keiner Weise ein "Vertrauen" in diese neue Währung existierte - selbst wenn Deutschland dabei mit von der Partie war.

    Derartige Vorstellungen sind also - historisch betrachtet - nicht gut begründet! Und: für den Wechselkurs gegenüber Lira, Peseta oder Drachme hat sich in Deutschland noch nie jemand wirklich gekümmert!

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  4. "... erst mal die 'neue D-Mark' abgewertet wird": Gegenüber welcher/n Währung(en)?
    Wenn die Target2-Forderungen zu Drachmen werden, ist es für die BuBa-Bilanz schon maßgeblich, ob die 'Neumark' IM VERHÄLTNIS ZUR NEUDRACHME auf- oder abwertet. Ob gleichzeitig die 'Neumark' gegenüber Yen und Dollar abwertet, ist (ökonomisch natürlich wichtig, aber) in diesem Zusammenhang unerheblich (den Arbitragehandel mal außen vor gelassen).

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  5. Sehr geehrter Herr Brinkmann,

    "Wenn die Target2-Forderungen zu Drachmen werden..."

    ist ja genau unser Dissens, da ich ja - wie bei auf meinem Blog beschrieben - gute Gründe dafür zu haben glaube, daß es zu einer derartigen Situation überhaupt nicht kommen müßte. Das liegt mMn an der Tatsache, daß das ESZBen so konstruiert ist, daß jede der NZBen eine Geldemission vornehmen kann, wobei jede andere NZB die daraus entstehenden Sichtforderungen auch gegen sich akzeptiert. Wenn also in GR ein Kredit vergeben wird, was postwendend bedeutet, daß damit Sichtforderungen entstehen, kann jemand, der über diese Sichtforderungen verfügt auch dahingehend verfügen, daß er sie nach D überweist. Die Bundesbank übernimmt ja quasi nur die Verpflichtung der Herausgabe von Zentralbankgeld. Sie übernimmt ja nicht die Forderung der GR-NZB gegen die GR-Bank oder einen GR-Schuldner. Einer Anforderung auf Herausgabe von Zentralbankgeld kann aber eine Zentralbank stets und immer nachkommen, da es für sie ja keine Emissionsobergrenze für Zentralbankgeld gibt. Im Extremfall könnten ja alle "Südländer" ihre nach D verbrachten "Guthaben" in bar abholen und in bar wieder in GR einzahlen. Dann bliebe der TARGET-Saldo gleich, aber das Geld wäre wieder in GR gelandet.

    Das ist es ja auch: der TARGET-Saldo sinkt ja nur dann, wenn von D nach GR eine Überweisung stattfindet, d.h. Geld, welches sich hier in D befindet per Überweisung wieder nach GR transferiert wird. Bei dieser Transaktion übergibt ja die Bundesbank auch kein Geld nach GR, sondern verbucht es nur.

    Ja es ist immer wieder schwer zu verstehen, daß eine Zentralbank eben kein normales Unternehmen ist, da es für die "normale" Wirtschaft im Grunde genommen die spiegelbildliche Position darstellt, mithin i.d.R. das Gegenteil dessen richtig ist, was für normale Unternehmen richtig ist. Auf diese Weise entstand ja auch der übliche Irrglaube, daß Zentralbankgeld eine Forderung gegen die Zentralbank sei, dabei ist Zentralbankgeld eben der Ausweis der Erfüllung der Verpflichtung der Zentralbank Zentralbankgeld herausgegeben zu haben.

    Es ist schon schwierig mit den Zentralbanken und deren zentraler Eigenschaft, daß für die Geld nun mal keinen Wert hat! Sonst würde es ja auch auf der Aktivseite stehen!

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  6. Hallo Herr Menendez,

    insgesamt ist mir nicht wirklich klar, wie ich Ihren Text verstehen muss. Denken Sie an einen Zerfall oder einen Erhalt der Eurozone?
    Immerhin habe ich soviel verstanden, dass es eine interessante Fragestellung gibt, die mir noch nicht in den Sinn gekommen war: Ob nämlich bei zwei abstrakt gleichgelagerten Sachverhalt ("Repatriierung von Fluchtkapital") der Zahlungsweg (Überweisung oder bar) hinsichtlich der Target-Salden einen Unterschied machen könnte.
    Werfen wir also die Modellmaschine an und stellen wir uns das ganze unter Einbeziehung sämtlicher Bankebenen konkret vor: Welche Änderungen der (um es mal ganz unspezifisch zu sagen:) 'Geldbeziehungen' würde das im Finanzsystem nach sich ziehen?

    1) Grieche hebt Geld bei deutscher Krankenbank ab. Folgen im Banksystem:
    a) Der Krakenbank fehlt die Einlage. Genau wie früher die Kreterkrötenkredit bei der Griechischen Zentralbank (GZB) Kredit aufnehmen musste, um den Einlageabzug auszugleichen, muss das jetzt die Krakenbank bei der Bundesbank tun. (Die in Deutschland vergebene Menge der Zentralbankkredite weitet sich aus.) Damit müsste die BuBa ihrerseits mehr EZB-Kredit aufnehmen. Heißt konkret: Ihr Target-Guthabensaldo würde sich vermindern.

    2) Grieche zahlt Geld bei Kreterkrötenkredit wieder ein.
    b) Kreterkrötenkredit hat jetzt zu viele Einlagen (im Verhältnis zu den von ihr vergebenen Krediten). Sie macht jetzt genau dasselbe, was seinerzeit die Krakenbank (gegenüber der BuBa) gemacht hatte, als das griechische Fluchtgeld bei ihr eingezahlt wurde: Sie zahlt ihren Kredit an die GZB zurück. Damit mindert sich der Negativsaldo der GZB bei der EZB.
    Ergebnis: Auf beiden Seiten hätte sich die Spanne verkleinert oder anders gesagt: der Target-Saldo (d. h. die -letztlich - BuBa-Forderungen gegen Griechenland bzw. umgekehrt die -letztlich - griechischen Schulden bei der BuBa) wären abgebaut.

    Ich bin kein Bankexperte; falls Sie einen kennen, kann der/die es vielleicht noch genauer aufschlüsseln.
    Jedenfalls: Grundsätzlich scheint es logisch, dass, wenn man einen Vorgang rückgängig macht, sich das in der ganzen Kette niederschlagen müsste. Und, wie ich oben gezeigt habe, dürfte das auch in diesem Falle tatsächlich zutreffen.

    Frage wäre dann, ob sich das irgendwie auf die Target-Salden auswirken würde oder nicht? Dadurch würde sich der Negativsaldo der GZB bei der EZB vermindern.

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  7. Hallo Herr Brinkmann,

    ich habe mich wie Sie in Ihrem Vorkommentar auf den Fall bezogen, daß die EURO-Zone zerbrochen ist und nun die Frage akut ist, wie mit den TARGET-Salden umgegangen werden muß.

    Bei Ihrem Punkt 1 im Vorkommentar sehe ich nicht, warum sich die Bundesbank zur "Refinanzierung" einer Geldemission an die EZB wenden soll. Die Bundesbank ist eine Zentralbank, welche eine unbegrenzte Geldemissionsberechtigung hat. Sie ist nicht auf die EZB angewiesen, deswegen predige ich ja, daß das ESZB-System aus 17 selbständigen NZBen plus EZB besteht - in der Reihenfolge. Man darf sich durch die mediale Propaganda, die EZB sei eine Zentralbank - und dann auch noch die wichtigste -, nicht völlig den Blick dafür verstellen lassen, daß die NZB immer noch ihr nationales Süppchen kochen können und wollen. Oder glauben Sie, daß die französische Zentralbank gewillt ist, mehr als Lippenbekenntnisse in Richtung einer EZB abzusetzen, die darüberhinaus zu allem Überfluß auch noch in Frankfurt residiert? Ich möchte nicht wissen, wieviele kreative Umwege in Paris schon gefunden wurden, um den Vorgaben der EZB zwar dem Papier nach, jedoch nicht dem intendierten Zweck nachzukommen.

    Was ihre Schlußfolgerungen hinsichtlich des Bareinzahlungen bzw. Barauszahlungen angeht: derartige Veränderungen im Bargeldbestand werden bei der jeweiligen Zentralbank über den Passivposten "Zentralbankgeldumlauf" gebucht und nicht über die TARGET-Position, die erst dann angesprochen ist, wenn es sich um eine Inter-ESZB-Buchung handelt - weil die NZBen eben keinen Bargeldausgleich machen. Letztlich hängen die TARGET-Salden nur an dieser "kleinen" Tatsache. Würde man zwischen den NZBen einen Bargeldausgleich vornehmen, verschwinden diese TARGET-Salden auch wieder und die GR-NZB würde einen monströsen Zentralbankgeldumlauf ausweisen, während die Bundesbank überhaupt keinen Zentralbankgeldumlauf mehr ausweisen könnte - denn die in D. vorhandenen Zentralbankgeldbestände wurden ja nicht von der Bundesbank emittiert! Dann würde sichtbar werden, daß in Deutschland inzwischen hauptsächlich das Zentralbankgeld der anderen EURO-Länder verwaltet wird - und so ist es auch, denn deren Geld ist ja HIER! (Immer daran denken, daß für eine Zentralbank Geld keinen Wert hat!) Was meinen Sie was passieren würde, wenn man genau diesen Sachverhalt so darstellen würde? Schauderhaft, da ist die Darstellung der "ausstehenden Forderungen" noch besser. Und: das ist ja auch genau der von HW Sinn beklagte Zustand, daß die deutschen Geschäftsbanken nicht mehr auf die Bundesbank angewiesen sind, bzw. die Bundesbank ihren Einfluß auf den deutschen Kreditmarkt verliert. Klar, wenn im deutschen Banksystem genug Geld vorhanden ist, braucht man auch keine Zentralbank mehr!

    Das TARGET-System ist deswegen über die NZBen organisiert, damit eben das 'counterpart'-Risiko ausgeschaltet wird. Denn eine Forderung gegen eine Zentralbank auf das Zentralbankgeld, welches sie selbst emittieren kann ist eben das: Zentralbankgeld! Das gilt für die griechische, maltesische oder zyprische ZB genauso wie für die Bundesbank - auch wenn es schwerfällt, das zu verstehen.

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  8. Hallo Herr Dr. Menendez,
    Sie haben den schwachen Punkt in meiner Argumentation entdeckt:
    "Bei Ihrem Punkt 1 im Vorkommentar sehe ich nicht, warum sich die Bundesbank zur "Refinanzierung" einer Geldemission an die EZB wenden soll."
    WIE das im Detail funktioniert, weiß ich zugegebenermaßen auch nicht. Ich vermute, dass die BuBa, wenn sie Geld emittiert, damit zugleich eine Verbindlichkeit gegen die EZB einbuchen muss. Damit ist zwar nicht das Target-Konto berührt.
    Ich bin immer noch dabei, meine Internet-Leseliste (in Form von Ausdrucken) zum Target-Thema abzuarbeiten; bislang habe ich nur etwa die Hälfte geschafft (auch das Sinn-Buch habe ich nur mal durchgeblättert). Zuletzt war der Deutsche Bank Special Report "The Mechanics of Intra Euro Capital Flight" von Peter Garber vom Dezember 2010 dran (http://fincake.ru/stock/reviews/56090/download/54478).
    Dort heißt es u. a.:
    "Unlike in the ESCB, accounting for accumulated inter-district positions and settlement in the Federal Reserve System do not require the use of accounts in an umbrella bank like the ECB. Specifically, the Board of Governors in Washington is not a bank in itself and has no separate balance sheet; rather, it is a supervisory body for each of the district Federal Reserve banks and it dominates the setting of monetary policy."
    In Europa dagegen wird offenbar alles (letztlich) zentral gebucht (außer den ELA-Krediten - ??); deswegen folgere ich, dass die Bundesbank sich bei Geldschöpfung dieses Geld von der EZB "holen", also als Verbindlichkeit gegenüber der EZB einbuchen muss. Aber zugegeben: Da müsste man (nicht nur über diese Spezialfrage, sondern vor allem zu einer evtl. Verbindung mit dem Target-Komplex) einen Fachmann fragen. Oder sich z. B. die BuBa-Bilanz anschauen - wenn man sie denn versteht, was zumindest mir jedenfalls erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde. Ich jedenfalls kann es mir nicht anders vorstellen, als dass Geldschöpfung einer NZB als Verbindlichkeit gegenüber der EZB verbucht wird. Evtl. wären das die "geldpolitischen Operationen" aus dieser (http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Presse/Fokusthemen/2012_03_13_pr%C3%A4sentation_jahresabschluss_2011.pdf?__blob=publicationFile) Kurzübersicht der BuBa-Bilanz. Wie auch immer: Irgendwie kann ich es nicht glauben, dass die (indirekten) Verbindlichkeiten zwischen der GZB und der BuBa von der "Zufälligkeit" abhängen sollen, ob eine Geldbewegung über Target läuft, oder bar erfolgt. Wenn doch, dann bilden die Buchungsvorgänge die tatsächlichen Guthaben und Verbindlichkeiten nicht korrekt ab, und dann hätten wir ein Problem.

    Im Übrigen: Dass die einzelnen Zentralbanken, jedenfalls in den Krisenländern, reichlich "Schmu" machen: Das glaube ich allerdings auch! Die EZB hat insoweit ja auch keine Kontrollrechte.

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  9. Hallo Herr Dr. Menendez,

    in der Satzung der EZB (http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/de_statute_2.pdf) lese ich gerade (Artikel 26 Abs. 3):
    "Für Analyse- und Geschäftsführungszwecke erstellt das Direktorium eine konsolidierte Bilanz des ESZB, in der die zum ESZB gehörenden Aktiva und Passiva der nationalen Zentralbanken ausgewiesen werden."
    Könnte mir vorstellen, dass sich dort auch die Ergebnisse von Bartransaktionen (i. S. unserer o. a. Diskussion) niederschlagen. Aber, wie gesagt: Insoweit bin ich kein Experte.

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  10. Nachtrag: Möglicher Weise hatte ich oben zu einer überholten Fassung des EZB-Statutes verlinkt; vermutlich ist die neuere diese: http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/c_08320100330de_ecb_statute.pdf. Aber Art. 26,3 ist identisch.

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  11. "Die Vorstellung, dass das von der BuBa gedruckte Geld „Schulden“ für die Notenbank sind, leuchtet wahrscheinlich nicht jedem ein. Aber wenn Sie sich das Wechselgeschäft in der umgekehrten Richtung vorstellen, wird das deutlicher: Der Traktorhersteller möchte in Irland Butter en gros kaufen und tauscht dafür seine 100.000,- DM wieder bei der BuBa in Punt zurück. Da man wegen des Punt-Kursverfalls jetzt für eine DM 2 Punt erhält, muss die BuBa 200.000,- Punt rausrücken, obwohl sie selber damals nur 100.000 Punt erhalten (und diese im Tresor aufbewahrt) hat. Also muss sie am Devisenmarkt 100.000 Punt dazukaufen und dafür 50.000,- DM bezahlen."

    Also das verstehe ich gar nicht. Wieso soll die BuBa verpflichtet sein "200.000,- Punt rauszurücken". Wenn der Traktorhersteller seine 100.000,- DM in Punt umtauschen will dann tut er das gewiß nicht bei der BuBa, denn BuBa ist kein Devisenumtauschpunkt, er tut es auf dem freien Devisenmarkt. Und wenn es nicht genug Teilnehmer auf dem Markt gibt, die bereit sind die DM zum Kurs 1 zu 2 zu kaufen, dann wir der Kurs des Punts eben wieder steigen bzw. der von DM wieder fallen. Die BuBa kann freilich auf dem Devisenmarkt intervenieren, aber nur wenn siemm aus welchen Überlegungen auch immer den Wechselkurs, konstant halten will, eine Verpflichtung dazu gibt es aber seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems nicht mehr.

    Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Gleichsetzung des heutigen Fiat-Geldes mit Schuldverschreibungen falsch ist, obwohl in der Bilanz der Zentralbanken das Geld tatsächlich als Verbindlichlichkeit geführt wird. Die Begründung ist folgende: mit einer normalen Schuldverschreibung verpflichtet sich der Schuldner zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Geldsumme auszuzahlen. Hat er die Summe nicht, ist er insolvent. Eine Zentralbank hingegen verpflichtet sich durch die Herausgabe von Geldscheinen (oder ihren elektronischen Pendants) zu gar nichts, nicht zum Umtausch in Gold, nicht zum Umtausch in andere Währungen, Waren, zu absolut gar nichts. Daher hat ein Loch in der Bilanz der Bundesbank zunächst einmal gar keine Auswirkungen - weder geht die Bundesbank insolvent, noch steigt die Geldmenge. Die einzigen Probleme die auftauchen können sind folgende:
    1. Wenn das Publikum augrund des Loch (irrational) das Vetrauen in die BuBa verliert, wird es versuchen Geldscheine lozuwerden - KOnsequenz steigende Geldumlaufgeschwindigkeit und Inflation.
    2. Mit einem Loch hat die Bundesbank weniger Möglichkeiten beim steigenden Inflationsdruck die überschüssige Liquiditat bei den Geschäftsbanken wieder einzusammeln. Diesem Problem kann allerdings mit einer Anhebung der Mindestreservesätze begegnet werden, sofern es rechtzeitig geschieht.

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  12. Teil 1:
    Danke für Ihren Kommentar, Herr Hummel.
    Zugegeben: Wie sich bei dem Komplex "Devisenumtausch" das genaue Verhältnis zwischen Tausch am Freien Markt und Einschaltung der BuBa in der Prxis gestaltet, weiß ich nicht. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass die BuBa für alle Zeiten wie ein Drache ihren Drachmen-Schatz hüten möchte.

    Was die Gleichsetzung des heutigen Fiat-Geldes mit Schuldverschreibungen angeht, argumentieren sie auf anderen Ebene als ich. Ich bestreite keineswegs, dass es für die Analyse der Beziehungen zwischen Finanz- und Realwirtschaft sinnlos ist, Geld als einen Schuldschein der Zentralbank zu betrachten. Das ist es nur rein formal. Real stellt es einen Schuldschein gegen die gesamte jeweilige Volkswirtschaft dar. Und daraus resultiert das Inflationsrisiko (wobei es in der Praxis sicherlich Elastizitäten gibt, d. h. eine Erhöhung der Geldmenge muss nicht in jedem Falle zwangsläufig zu Inflation führen).

    An die Möglichkeit, dass ein Loch in der Bundesbankbilanz ohne ohne Auswirkungen bleibt (außer in den von Ihnen genannten Spezialfällen), mag ich nicht glauben. There is, after all, no free lunch! Die Devisenreserven (Dollar z. B.), die bei der BuBa lagern, sind schließlich Ansprüche gegen die (im Beispiel:) amerikanische Volkswirtschaft. Nehmen wir an, die BuBa selbst wollte sich einen Supercomputer (oder ein Geschäftsflugzeug) in den USA kaufen. Dann könnte sie die Dollar aus dem Tresor nehmen und damit bezahlen. Hat sie die nicht, muss sie DM drucken und damit bezahlen. Mit diesen DM können wiederum die Amerikaner in Deutschland einkaufen gehen, was dem Grunde nach Inflationsdruck auslöst (wir haben ja jetzt mehr Geld in der deutschen Volkswirtschaft als "normal", d. h. ohne diesen durch die Dollar-Vernichtung erzwungenen Druck frischer DM-Scheine zum "Einkaufen gehen").
    Über welche Kanäle eine solche Wirkung eintritt, wenn nicht die BuBa in den USA einkaufen geht, sondern eine normale Firma, kann ich im Moment nicht modellieren. Ich bin aber sicher, DASS genau dasselbe Ergebnis eintreten muss.
    Eine Volkswirtschaft kann m. E. nicht Devisen in den Papierkorb werfen, ohne dass das Folgen für ihre Kaufkraft im Betreffenden Land hätte (und damit natürlich auch in der Summe ihre Kaufkraft vermindert).
    - Folgt Teil 2 -

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  13. Teil 2 (wg. Zeichenbeschränkung in der Kommentarfunktion separiert):

    Dieses Thema wurde auch in der Fach-Debatte gerade jüngst abgehandelt.
    Die Wirtschaftswissenschaftler Paul De Grauwe und Yuemei Ji hatten in ihrem Artikel "What Germany should fear most is its own fear" (http://www.voxeu.org/article/how-germany-can-avoid-wealth-losses-if-eurozone-breaks-limit-conversion-german-residents; 18.09.12; ursprünglich wohl u. d. T.: “How Germany can avoid wealth losses if the Eurozone breaks up: Limit conversion to German residents”, so wird er jedenfalls bei Sinn zitiert) genau Ihre Position vertreten (wenn ich das richtig sehe):
    "The value of the money base is not automatically determined by the value of the assets held by the Bundesbank; its value is independent of the value of the assets held by the central bank. In the fiat money system we live in, the Bundesbank could destroy all its assets without any effect on the value of the money base – as long as people continued to trust the Bundesbank to maintain price stability."

    In seinem Vox-Aufsatz "TARGET losses in case of a euro breakup" vom 22.10.2012 hielt Sinn dem u. a. entgegen:
    "To further demonstrate the irrelevance of TARGET balances, De Grauwe and Ji (2012) point to the nature of fiat money. They rightly argue that fiat money has a value in and of itself for the private agents using it and that this value would not disappear if the euro ceases to exist and is replaced by a national currency.
    Indeed, as fiat money is voluntarily held by private agents even though it does not generate interest, it must be delivering liquidity services that are equivalent to the interest foregone by not converting it into interest-bearing assets, and the present value of these liquidity services is identical to the accounting value of the money itself. Thus, fiat money is real wealth, and the economic value of the liability side of a national central bank’s balance sheet (for the private economy!) is independent of the value of the assets it holds, as the authors maintain. The central bank could therefore destroy its assets without reducing the value of the monetary base, as the authors also maintain.
    While this is all true, it certainly does not mean that the central bank in question and the sovereign that owns it would not incur wealth losses if it destroyed its assets, as De Grauwe and Ji (2012) believe9. After all, it is the assets bought with self-printed money and the interest flow they generate that create the seignorage wealth of a central bank. In the Eurozone, the most important assets member central banks acquire are titles derived from providing refinancing credit to commercial banks, i.e. from lending them the newly printed money, and the value of these titles is equal to the present value of the interest flow from the commercial banks to the central banks that is generated by this credit. Voiding the central banks' claims on the commercial banks would eliminate this interest flow and would therefore make the central banks poorer. ....."

    Ich habe diese Ausführungen für mich selbst noch nicht in eine anschauliche Modellvorstellung übersetzen können. Aber jedenfalls glaube ich nicht an Zauberei (weder an schwarze noch an weiße Magie) und deshalb auch nicht, dass eine Devisenvernichtung, egal, wo sie erfolgt, folgenlos für den Wohlstand der Volkswirtschaft bleiben kann.
    Ansonsten könnten wir unsere Exportgüter ja auch gleich verschenken.

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  14. @ Alex Hummel: Mit dem Zusammenhang von Bargeld-Transaktionen und Target2-Salden beschäftigt sich Clemens Jobst, Volkswirt bei der Österreichischen Nationalbank, in seinem VOX-Beitrag "A balance sheet view on TARGET – and why restrictions on TARGET would have hit Germany first" vom 19.07.2011 (http://voxeu.org/article/should-target-balances-be-restricted).
    Ich verstehe seine Ausführungen momentan nicht und bin auch nicht sicher, ob sie eine Relevanz zu dem von Ihnen vorgetragenen Beispiel haben. Wollte aber für alle Fälle und zum evtl. Nutzen anderer Leser diesen Linkfund hier festhalten.

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