Sonntag, 8. Juli 2012

15 Voodoo-Ökonomen umtanzen die 'Schuldenkrise' der Eurozone. Zum Aufruf "Stellungnahme zur Europäischen Bankenunion" der Professoren Burda, Grüner, Heinemann, Hellwig, Hoffmann, Illing, Kotz, Krahnen, Müller, Schnabel, Schabert, Schularick, Snower, Sunde und Weder di Mauro


Die vorliegend von mir kritisierte Ökonomen-Erklärung ist Teil einer Auseinandersetzung zwischen drei Gruppen deutscher Wirtschaftswissenschaftler.
Eine Übersicht (über den damaligen Stand  der Debatte, aber anscheinend um spätere Nachträge ergänzt) bietet der Handelsblatt-Bericht "Weiterer offener Brief. Ökonomen-Zoff geht in die nächste Runde" vom 06.07.2012.

Einen sehr umfassenden Kommentar (unbedingte Leseempfehlung!) mit zahlreichen Links zu den einschlägigen Beiträgen hat, allerdings in englischer Sprache, der Aachener Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Rüdiger Bachmann in seinem Blog "The Lumpy Economist – Der Lumpenökonom" am 08.07.12 u. d. T. "The New Ökonomenstreit in Germany" verfasst. Er überschätzt zwar aus meiner Sicht die Qualität der 2. Erwiderung (= 3. Erklärung in dem Ökonomenstreit), die ich unten analysiere und übersieht auch die unten aufgedeckte Widersprüchlichkeit, schlägt sich letztlich aber doch, und mit einer ganzen Reihe von bemerkenswerten Argumenten, auf die Seite der Mehrheitsökonomen der 1. Erklärung.

  • Am Anfang der öffentlichen Debatte stand der Eintrag "Bankenunion, Euro. Deutschlands Ökonomen sinken auf Tsipras-Niveau" von Olaf Storbeck in seinem Handelsblatt-Blog "Handelsblog" (04.07.12). Darin griff er einen öffentlichen Aufruf von seinerzeit ca. 150 deutschen Wirtschaftswissenschaftlern an, die sich gegen eine Bankenunion für die Eurozone wenden. Der seiner Attacke zugrunde liegende Text war aber nur ein vorläufiger.
  • Die von 172 Volkswirtschaftlern unterzeichnete Endfassung veröffentlichte die FAZ am 05.07.2012 u. d. T. "Protestaufruf. Der offene Brief der Ökonomen im Wortlaut". Der Aufruf war initiiert worden von Prof. Dr. Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchener Ifo-Instituts und Walter Krämer, Statistikprofessor an der Universität Dortmund. (Dessen Buch "Lexikon der populären Irrtümer. 500 kapitale Missverständnisse, Vorurteile und Denkfehler von Abendrot bis Zeppelin" hatte ich vor längerer Zeit auf meiner Webseite rezensiert; hier ein älterer SPON-Artikel über ihn). [Erg. 24.07.12: Mittlerweile haben 267 Ökonomen unterzeichnet: vgl. das Original auf der Webseite von Prof. Walter Krämer. Und hier ein Interview mit Krämer: sehr interessant!]
Dagegen gab es zwei (veröffentlichte) Gegenerklärungen:
  • "Gegenposition im Wortlaut. Keine Schreckgespenster!" von Peter Bofinger, Gustav Horn, Michael Hüther, Dalia Marin, Bert Rürup und Friedrich Schneider und Thomas Straubhaar, veröffentlicht am  im Handelsblatt und
  • "Stellungnahme zur europäischen Bankenunion", veröffentlicht am 06.07.12 u. a. in der Financial Times Deutschland und im Handelsblatt-"Handelsblog" von Olaf Storbeck. (Erstunterzeichner dieses Aufrufs: Michael Burda, Hans-Peter Grüner, Frank Heinemann, Martin Hellwig, Mathias Hoffmann, Gerhard Illing, Hans-Helmut Kotz, Jan Pieter Krahnen, Gernot Müller, Isabel Schnabel, Andreas Schabert, Moritz Schularick, Dennis Snower, Uwe Sunde und Beatrice Weder di Mauro.) Erg. 9.7.: Lt. "Wirtschaftsphilosoph" hat dieser Aufruf mittlerweile weitere 118 Mitzeichner gefunden.
Eine kurze Zusammenfassung der Positionen bietet der FAZ-Artikel "Schuldenkrise. Angriff auf Hans-Werner Sinn" vom 07.07.12.

Meine Kritik an der "Stellungnahme zur europäischen Bankenunion" habe ich (als "Canabbaia") im Handelsblog von Olaf Storbeck in 3 Leserkommentaren formuliert, die ich hier übernehme:

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1. Kommentar (derzeit im Handelsblog nicht sichtbar; vermutlich ein technisches Problem)
(an einigen wenigen Stelle habe ich hier meinen Text modifiziert bzw. um Links ergänzt):

So, so: "Sachlich und fundiert" sei die 2. Erwiderung?
Da gehen wir doch einfach mal ad fontes:

"Ein wesentlicher Teil des Problems ist die enge Verknüpfung zwischen der Verschuldung des Finanzsektors und des Staates auf nationaler Ebene. Staatshaushalte müssen für die Refinanzierung ihrer systemrelevanten Banken einstehen. Umgekehrt halten die Geschäftsbanken in großem Umfang Schuldverschreibungen ihrer eigenen Staaten. Dadurch wird jede Bankenkrise zu einer Staatsschuldenkrise und umgekehrt - das Misstrauen schaukelt sich gegenseitig immer weiter hoch."

In Griechenland werden die Banken aus dem Hilfspaket rekapitalisiert; trifft also für dieses Land nicht mehr zu.

Irland: Da passt es vielleicht (mit den Details dort bin ich nicht vertraut). Allerdings liegt ja auch dort das Problem zumindest teilweise im Immobiliensektor. Wenn aber die Wirtschaft ansonsten gesund ist und strukturell in der Lage, die Bevölkerung zu ernähren, könnte man darüber diskutieren, auf welche Weise die anderen Eurozonäre Irland im Kreditwege eine vorübergehende Hilfe geben können.

Portugal: Kenne die Einzelheiten bezüglich Bankenkrise dort nicht. Das zentrale Problem in diesem Land ist aber das Leistungsbilanzdefizit. Banken zu rekapitalisieren nützt nichts, wenn sie dann wieder nur Strohfeuer finanzieren. Man doktert also mit einer Bankensanierung nur an Symptomen herum.

Spanien: Häuser haben die genug: jetzt müssten die Banken produktive Investitionen finanzieren. In der Summe dürfte der Finanzierungsbedarf sinken. Auf welche Weise wird sichergestellt, dass die Banken nicht doch wieder unproduktive Sektoren (Staat, Konsum) finanzieren, insbesondere dann, wenn sie wieder üppig mit Kapital ausgestattet sind? Auch hier ist Bankensanierung tendenziell Symptommedizin.

Italien: Woran der Monte dei Paschi di Siena in die Knie gegangen ist, weiß ich nicht. Staatsanleihen des eigenen Landes in den Bankbilanzen sollten jedenfalls kein Problem  für die italienischen Banken sein (wenn man Italiens Bonität unterstellt). Kapitalflucht wg. Furcht vor Euro-Austritt kann weder dort noch in Spanien usw. sinnvoll über den ESM ausgeglichen werden; bei diesem Problem auf der Passivseite ist die Zuteilung von EZB-Liquidität schon der richtige Weg (Wertigkeit der von der Bank vergebenen Kredite unterstellt). Jedenfalls hat sich die Verschuldung Italiens nicht dadurch wesentlich erhöht, dass das Land seine Banken hätte rekapitalisieren müssen. Problem ist dort das fehlende Wachstum; Ursache die strukturelle Verkrustung. Auch hier hat es also wenig Zweck, bei angezogener Arbeitsmarktbremse Kreditgas zu geben.

In summa: Dieser Teil der Problembeschreibung ist aus Lehrbüchern geguttenbergt; mit den realen länderspezifischen Problemen hat er nur einen entfernten Zusammenhang.


"Nur wenn es gelingt, die Refinanzierung der Banken von der Solvenz nationaler Staaten abzukoppeln, kann sich die Kreditversorgung in den Krisenländern stabilisieren."

Klingt gut, aber letztlich geht es nicht um irgendeine "Kreditversorgung", sondern darum, dass die Einwohner der Krisenländer reale Tauschgüter erarbeiten müssen, mit denen sie fremde Exportgüter REAL bezahlen können. Die Stabilisierung der Kreditversorgung ist nicht nur kein Selbstzweck: sie ist sogar kontraproduktiv, wenn damit weiterhin ein Pseudoboom nach griechischer oder spanischer Art finanziert wird. (Das System läuft dann letztlich auf dauerhafte Transferleistungen hinaus.)
Leider sind 'all problems concrete' - egal, ob man concrete auf der ersten oder zweiten Silbe betont.
Fahrversuche mit dem Geldtransporter führen deshalb in eine teure Sackgasse.


"Durch ein europäisches Rückgrat kann der Finanzsektor Schocks in einzelnen Ländern leichter abfedern."

Schon klar: wenn die europäischen Schwesterbanken die spanischen Pleitesparkassen wieder mit Geld befüllen, kann sich das Immobilienrad weiter drehen. Oder was stellen sich die Savants KONKRET vor, wenn sie uns solche Abstrakta als Lösungszauber auftischen?


"Eine stärkere Integration des europäischen Finanzsystems und eine Entkopplung von Staatsfinanzen und Kreditversorgung sind für eine stabilere Architektur Europas unverzichtbar."

Hört sich gut an, ist aber für sich genommen eine Leerformel. Füllen kann man sie z. B. mit: "Wenn fremde Steuerzahler / Banken für Krisenländer bezahlen, läuft dort wieder alles rund".
Klar. Nur in den Zahlerländern läuft dann bald nichts mehr. Das haben die Mehrheitsökonomen deutlich gesagt. Wer der klaren Sprache des Manifests von Sinn und Krämer Luftnummern wie die o. a. Formulierung entgegensetzt, der will in meinen Augen nur verschleiern, was er/sie in Wahrheit will.


"Es darf dabei keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden gehen. ..... Um die Stabilität einer Bankenunion finanziell abzusichern bedarf es eines gemeinsamen Restrukturierungsfonds ..... Der ESM kann diese Rolle übernehmen. Auch eine verstärkte europäische Einlagensicherung kann auf Dauer zur Stabilität des Systems beitragen".

Wenn hochwohlmögende Nationalökonomen einen Aufruf verzapfen, in welchem sie zu dem zentralen Punkt der ganzen Debatte am Ende ein und desselben Absatzes das genaue Gegenteil vom Anfang behaupten: kann man einen solchen Vorschlag wirklich für "fundiert" halten, Herr Storbeck?

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2. Kommentar (dieser und der folgende Kommentar sind im Handelsblog sichtbar)
(Meine Reaktion auf eine - momentan gleichfalls im Handelsblog nicht sichtbare - Antwort von Olaf Storbeck. Dieser hatte
a) meinen Ausdruck "geguttenbergt" kritisiert (Kontext - s. o. -: "In summa: Dieser Teil der Problembeschreibung ist aus Lehrbüchern geguttenbergt; mit den realen länderspezifischen Problemen hat er nur einen entfernten Zusammenhang.") und
b) meine Feststellung eines inneren Widerspruches (s. o.: "Wenn hochwohlmögende Nationalökonomen ...") in den Äußerungen der 15 Bankenunionsbefürworter mit dem Satz zu widerlegen versucht "Bankenunion bedeutet keineswegs – wie von Sinn und Co. irreführender Weise behauptet – eine kollektive Haftung für die gesamten Schulden aller Banken".
Dazu also meine Antwort:

Aus der bisherigen Leserdebatte hatte ich den Eindruck gewonnen, dass hier Leute diskutieren, die ein gewisses Maß an Einsicht in volkswirtschaftliche Sachverhalte einerseits, und deren Behandlung durch die Wirtschaftswissenschaft andererseits besitzen.

Von daher hatte ich geglaubt, mein ironischer Vorwurf des "Guttenbergens" an die Bankenhaftungsunionsfreunde würde von allen Debattenteilnehmern so verstanden werden, wie er gemeint war: Eine gedankenlose Übernahme von Lehrbuchweisheiten, die für strukturell gesunde Volkswirtschaften zutreffen, aber auf die komplexe Lage der Euro-Währungsgemeinschaft nicht anwendbar sind. Und deren unreflektierte Übertragung sogar kontraproduktiv wäre, indem sie zeitweilig eine Scheinblüte vortäuscht, welche die Probleme am Ende noch verschärft.

Wenn eine strukturell solide Volkswirtschaft durch irgendeine sachlich nicht gerechtfertigte Panik des Publikums z. B. in eine Kreditklemme gerät, dann kann (und muss) man sie mit Geldspritzen wieder auf die Beine bringen. Oder sich vor die Öffentlichkeit stellen und sagen: "Eure Spareinlagen sind sicher, das versprechen wir euch".

Aber beispielsweise in Griechenland und Portugal, und ebenso wohl auch in Spanien (und demnächst in Frankreich?) ist bzw. wäre eine Rezession kein Betriebsunfall.
Vielmehr ist "Austerity" das Ergebnis einer notwendigen Rückführung der jeweiligen Volkswirtschaften auf ihr jeweiliges eigenes Leistungsniveau. (Doch anstatt zu sparen, erhöht Hollande die Steuern .... . Aber so läuft es ja überall, natürlich auch bei uns.)
Dass es bei solchen Vorgängen dann auch zu negativen Rückkopplungseffekten kommt, ist ein Problem. Dieses im Detail zu analysieren und Lösungsvorschläge zu machen, wäre eine angemessene Beschäftigung für Volkswirte.

Aber der Text von Burda et al. lässt für mich nicht erkennen, dass diese Wirtschaftswissenschaftler die realwirtschaftlichen Probleme hinter der Schuldenkrise (von Staaten bzw. Banken) zum Ausgangspunkt ihres Denkens machen. Für mich sind hier Spielzeugeisenbahner unterwegs, die glauben, man müsse einfach nur auf Rot stehende Signale wieder umschalten, und alles würde laufen wie von selbst.

"Bankenunion bedeutet keineswegs – wie von Sinn und Co. irreführender Weise behauptet – eine kollektive Haftung für die gesamten Schulden aller Banken."

In der aktuellen Debatte geht es nach meinem Verständnis darum, die Haftung für Bankeneinlagen über -2- verschiedene Kanäle von der Nationalstaatsebene auf die Eurozonen-Ebene auszuweiten:
  • Für systemrelevante (Groß-)Banken über den ESM (unter Ausschaltung der bisherigen Garantiefunktion der Nationalstaaten). Beispiel in Deutschland: HRE. Hier wurden zwar die Aktionäre an der Sanierung beteiligt, nicht aber die Schuldner. Warum sollte das in anderen Staaten anders laufen? Anders als in den USA, wo sich die Großbanken am zufließenden Auslandskapital mästen können, oder in Schweden, wo die Wirtschaft strukturell solide war, sind in Spanien ebenso wenig wie in Deutschland aus einer Bankenrekapitalisierung Gewinne zu erwarten. In der politischen Auseinandersetzung der zahlenden mit den profitierenden Volkswirtschaften ist abzusehen, dass letztere möglichst viele ihrer Pleitebanken in die Kategorie "systemrelevant" werden einordnen wollen.

  • Für kleinere Banken, die man in die Insolvenz gehen lassen will, müssten die anderen Banken die Einlagen bis zur garantierten Höhe über einen Einlagensicherungsfonds ausgleichen.
Wenn Sie formulieren, dass mit einer Bankenunion nicht die GESAMTEN Bankenverbindlichkeiten vergemeinschaftet werden, dann ist das nicht identisch mit dem, was die Freunde der Haftungsunion gesagt haben:
"Es darf dabei keinesfalls um eine Vergemeinschaftung der Haftung für Bankschulden gehen."
Das ist sprachlich keine Ablehnung der Gemeinschaftshaftung für ALLE Schulden; das ist eine Haftungsverweigerung (auf Eurozonenebene) für JEDWEDE Bankverbindlichkeit - also eine vorgetäuschte Übereinstimmung mit den Mehrheitsökonomen.

Dass es den Haftungsunionsfreunden in Wahrheit eben DOCH um eine Haftungsgemeinschaft geht, zeigt sich am Ende des gleichen Absatzes, wo die beiden oben von mir dargestellten Haftungsübernahmen - ESM und eurozonenweite Einlagensicherung - gefordert werden.

Ehrlichkeit geht anders!
Gegenüber solchen Argumentationsstrategien, die denen der Politik ähneln (Schäuble: "Im Kern geht es ja nicht darum, die Haftung zu vergemeinschaften, sondern eine gemeinsame Aufsicht in Europa zu schaffen" - "Im Kern"? Und was ist um den "Kern" herum?) ist der Mehrheitsprotest ein allemal gerechtfertigter 'grober Keil'!

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3. Kommentar:

Eine Entlastung des (z. B.: spanischen) Staates aus der Bankenhaftung behandelt gleiche Sachverhalte ungleich.
Warum?

1) "Wohlstandsmodell Griechenland":
Staat macht Schulden und bezahlt dem Lokführer Papalokious ein Schweinegeld. Der baut sich - schuldenfrei - damit ein Haus.

2) "Wohlstandsmodell Spanien":
Staat zahlt "normales" Gehalt an Lokführer Lokadero. Der leiht sich Geld und baut sich - hypothekenbelastet - damit ein Haus. (Staat schaut regulatorisch weg bei Immobilienboom.)

Beide Sachverhalte sind insoweit gleich, als der Wohlstand der Staatsbürger auf Pump aus fremden Volkswirtschaften finanziert wurde, und nicht aus der Tauschgüterproduktion (Leistungsbilanzdefizite).

Warum soll dann der Staat, d. h. das Kollektiv der jeweils begünstigten Volkswirtschaft, nur in dem einen Falle haften, in welchem der Kredit über ihn als Zwischenstation gelaufen ist?
Warum nicht auch im anderen, wo der Kredit direkt an den Staatsbürger ging?

Im Ergebnis wäre z. B. Italien gegenüber Spanien massiv benachteiligt.
Und da die Italiener eher schlauer sind als ich, wird eines Tages auch dieses Argument kommen.
Wenn man uns erst einmal in die Bankenhaftungsgemeinschaft gezerrt hat.

"Il birbone sa pelar la gazza senza far la stridere"
Deutsche Übersetzung dieses italienischen Sprichworts:
"Der Gauner versteht es die Elster so zu rupfen, dass sie nicht einmal schreit."


Nachträge 09.07.2012

Unter der Überschrift "Ökonomen-Aufruf. Die Risiken der Rettungspolitik" antworten heute in der FAZ in einem 4. Debattenbeitrag Walter Krämer und Hans-Werner Sinn auf ihre Kritiker.
Der Text gipfelt in einem brillant formulierten 'finale furioso' (meine Hervorhebung):
"Die vorläufige Begrenzung des ESM-Volumens ist kein Schutz gegenüber zusätzlichen Lasten, denn der Mechanismus zur Ausweitung der Haftungssummen ist im ESM-Vertrag bereits eingebaut. Die strukturelle Mehrheit der Schuldenländer in den Eurogremien wird sich sämtlicher Töpfe des ESM bedienen, die aufgestellt werden, und bei einer drohenden Leerung so lange drängeln, bis sie wieder aufgefüllt werden. Da nützen die schönsten Regeln nicht. Die Geschichte des Euro ist eine Geschichte fortwährender Vertragsverletzungen und selbst gesetzter Regeln, vom Bruch der No-bail-out-Klausel bis hin zum Verzicht auf die Konditionalität bei den Hilfskrediten des ESM. Der Ablauf ist immer der gleiche: Erst werden wir mit dem Placebo der politischen Schranken und Verhaltensmaßregeln bewogen, das Portemonnaie zu zücken, und wenn das Portemonnaie erst einmal auf dem Tisch liegt, werden wir bedrängt, auf die politischen Schranken zu verzichten. Das Spiel hat sich mittlerweile so häufig wiederholt, dass wir nicht verstehen, woher die deutsche Regierung und einige unserer Kollegen die Hoffnung nehmen, dieses Mal könnte alles anders sein."
Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass es der "Sieg" des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti auf dem letzten Brüsseler Gipfel war, der zum (1.) Aufruf der Mehrheitsökonomen geführt hat, und jetzt sieht, welche Debatte daraus erwachsen ist, dann kann es sein, dass Monti einen katastrophalen Pyrrhussieg erlitten hat!

Zu den umstrittenen Gipfelergebnissen vgl. auch den Artikel "Fakten-Check. Wer hat beim Euro-Deal gesiegt?" heute in der Wirtschaftswoche.

Hochkarätige Unterstützung bekamen (bereits am 07.07.12) die Mehrheitsökonomen um Prof. Hans-Werner Sinn (und damit wir Deutschen insgesamt, denn es sind UNSERE Interessen, denen diese Ökonomen eine Stimme verleihen!) aus der Schweiz. Unter der Überschrift "Den Euro kann man nicht mit Geld retten" * werfen sich Monika Bütler, Professorin für Volkswirtschaftslehre und Dekanin der School of Economics and Political Science an der Universität St. Gallen und Mitglied des Bankrates der Schweizerischen Nationalbank gemeinsam mit Urs Birchler, Professor of Banking am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich und bis 2009 Direktionsmitglied der Schweizer Nationalbank sowie Vertreter der SNB im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, in die Bresche.
Den Inhalt dieses Aufsatzes darf ich in gewisser Hinsicht auch als "Unterstützung" für meine o. a. Kritik am 2. Gegenmanifest werten. Denn auch Büttler & Birchler weisen darauf hin, dass die Wettbewerbsunterschiede in der Eurozone (die sich bei vielen Krisenländern als Leistungsbilanzdefizite niederschlagen), nicht mit einer Haftungsgemeinschaft für die Banken zu lösen sind (meine Hervorhebung):
"Wer sich im Krisendschungel noch zurechtfinden will, muss dreierlei unterscheiden. 
Erstens gibt es die Eurokrise: Die Länder der Euro-Zone haben sich [in] punkto Wettbewerbsfähigkeit sehr weit auseinander entwickelt. Der Euro als Währung wird deswegen nicht untergehen, aber ein Teil der 17 Mitgliedstaaten werden nur unter riesigen Anstrengungen und Hilfe von aussen in der Eurozone verbleiben können – falls überhaupt.
Zweitens gibt es die Staatsschuldenkrise: Die meisten Industriestaaten sind in einem gefährlichen Ausmass verschuldet. Das Vertrauen der Finanzmärkte hängt am seidenen Faden; wo dieser reisst, steigen die Zinskosten und der Bankrott droht. Noch vor wenigen Tagen war kaum von Japans Monsterverschuldung die Rede. Nun genügen politische Streitereien, und der Bankrott steht vor der Türe.
Drittens gibt es die Bankschuldenkrise: Die europäischen Banken leiden unter den Folgen der Finanzkrise, der Immobilienblasen und der hohen Bestände an Staatsanleihen. Wegen der gegenseitigen Kreditverflechtungen hilft eine Rettung der spanischen Banken auch den französischen oder deutschen Banken. Viele der völlig unterkapitalisierten Banken schütten übrigens noch immer riesige Beträge an Dividenden und Boni aus. Wenn das Kapital von der Europäischen Zentralbank kommt, dann haben Management und Aktionäre nichts zu fürchten.
"
 * U. d. T. "Zum Aufruf der Ökonomen" ist der Artikel auch im Blog "Ökonomenstimme" erschienen.


Nachtrag 11.07.2012
Weitere umfangreiche Links stellt Prof. Rüdiger Bachmann jetzt in seinem 2. Blogposting (vom 09.07.12) zu diesem Thema zur Verfügung: "More on the Ökonomenstreit in Germany".



ceterum censeo
Lagerinsassen der Euro-Zone: Befreit euch aus dem EZ des Kapitalsozialismus! Verjagt die Berliner Politwärter des Euronen-EntZiehungslagers (und ihre medialen Schläferhunde)!

Textstand vom 24.07.2012

2 Kommentare:

  1. Hallo,
    Ihren Beitrag habe ich in meine Linksammlung aufgenommen, auf die ich Sie gerne hinweisen möchte: http://www.robertmwuner.de/materialien_euro_literatur_krise.html

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  2. Herzlichen Dank, Herr Wuner!
    Ihren verdienstvollen Blog kannte ich zwar, aber man vergisst in allzu leicht über der Fülle von Informationen, die in Sachen Eurettungswahn auf einen einstürzen.

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