Freitag, 4. September 2009

Ein Ausflug in die Gedanken-Welt der "Österreicher"

Der Wirtschaftswissenschaftler Joseph T. Salerno, ein Anhänger der Österreichischen Schule (Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Murray Rothbard u. a.) der Volkswirtschaftslehre hatte (ursprünglich im Januar/Februar 2002, eine erweiterte Fassung, auf die ich mich nachfolgend beziehe, erschien im Jahr 2003) auf andere Weise unternommen, womit auch ich mich derzeit abmühe: die Erstellung einer Deflations-Taxonomie.
Im Detail hoffe ich auf seinen Aufsatz "An Austrian Taxonomy of Deflation" (also: Deflations-Taxonomie aus Sicht der Österreichischen Schule der Nationalökonomie; im amerikanischen Kontext wird diese Schule abkürzend immer nur als "Austrians" bezeichnet) in einer Ergänzung zu meinem früheren Blott "Deflation demystified oder: Eine Deflationsursache gibt es nicht!" einzugehen. Hier greife ich lediglich einen Punkt heraus, der nicht zwingend mit Deflation zu tun hat.

Die Österreicher sind generell Kritiker unseres heutigen Kunstgeldes ("Fiat Money") und der Geldschöpfung durch die Notenbanken (Zentralbanken). In dem Kapitel "Bank Credit Deflation" versucht sich Salerno im Abschnitt "Contractionary or Deflationary Monetary Policy" (S. 88) an der Konstruktion einer realwirtschaftlichen Analogie zu der aus seiner Sicht betrügerischen Geldschöpfung zum Beispiel des Federal Reserve Bank Systems ("Fed") (meine Hervorhebungen):
"Certainly, it is an uncontroversial conclusion of value-free economic analysis that markets work more efficiently in serving consumers when the creation and exchange of counterfeit property titles [d. h. von Geldscheinen ohne Golddeckung] to stocks of nonmonetary commodities are suppressed. For example, a large and reputable land development and real estate management company may begin contracting for the sale of fully furnished vacation homes in remote locations to more than one buyer, confident that multiple buyers will never occupy the same home simultaneously. Nevertheless this practice would still alter prices in this and related markets and alter the distribution of income and wealth and the structure of consumer demands throughout the economy. The discovery and elimination of this scam would reorient prices and quantities to more accurately reflect the scarcities of concrete goods. Hence, the economist would remain strictly within the bounds of Wertfreiheit in appraising this new constellation of market outcomes as superior to the old in terms of social welfare. Similarly, in carrying out a contractionary monetary policy, the central bank is merely ceasing to violate its contractual obligation to maintain the integrity of its depositors’ titles to their stored money balances, and, therefore, the consequent readjustment of the purchasing power of money to the real scarcity of the money commodity implies a value-neutral judgment that social welfare has been enhanced."

Salerno meint also, dass, selbst wenn man von der moralischen Dimension sowie auch von der eigentumsmäßigen Zuordnung gänzlich absieht, die Aufdeckung des Betruges die Preisfindung am Markt und die Produktionsmengen am Markt dahingehend beeinflusst, dass sie die Knappheiten konkreter Güter zutreffender widerspiegeln.

In Wirklichkeit könnte ein Betrüger, nennen wir ihn Ben Homer, der Ferienwohnungen mehrfach verkauft und der unentdeckt bleibt, weil die Käufer die Appartments zu unterschiedlichen Jahreszeiten nutzen, ein ökonomischer Wohltäter sein!
Die mehrfache Nutzung der Wohnungen (im Sinne einer verbesserten Auslastung im Jahreslauf) ist eindeutig ein Akt der Rationalisierung. Würde sich jeder eine eigene Ferienwohnung kaufen, diese aber nur einen Monat lang im Jahr nutzen, und sie für den Rest des Jahres leer stehen lassen, wäre das (bzw., da so etwas ja durchaus vorkommt: ist das) eine Verschwendung gesellschaftlicher Ressourcen.
Wenn also unser obgedachter Betrüger den Menschen vorspiegeln kann, dass sie exakt das bekommen, was sie suchen (d. h. eine exklusiv von ihnen selbst genutzte Ferienwohnung), diese Illusion aber zugleich mehreren Personen für dieselbe Wohnung verkauft, induziert er (anders als Bernie Madoff) zunächst einmal einen gigantischen Spareffekt.

Die weiteren Auswirkungen richten sich nach dem konkreten Szenario. Insoweit sind zahlreiche Varianten denkbar, von denen ich hier nur einige exemplarisch herausgreifen will:

1) Ben Homer bietet die Wohnungen so billig an, dass sein Profit insgesamt nicht größer ist als er es gewesen wäre, wenn er die Wohnung wirklich nur an einen Eigentümer verkauft hätte. Den Käufern bleibt mehr Geld in der Tasche; das ist allemal gut für sie. Einen Schaden haben sie nicht, weil sie sich ja sämtlich in der Illusion wiegen, alleinige Besitzer der Ferienwohnung zu sein. (Wenn Salerno sein Beispiel ernstlich als Analogie zur Schöpfung von Notenbankgeld sehen will, muss er auch unterstellen, dass der Betrug nie aufgedeckt wird, d. h. die Eigentümer könnten die Wohnungen so weiterverkaufen, als würden sie ihnen allein gehören.) Die Käufer geben ihr Geld anderweitig aus - das ist für die Wirtschaft (Beschäftigung) nicht schlechter, als wenn das Geld sämtlich für den Bau von Ferienwohnungen verwendet worden wäre.
Natürlich könnte es auch passieren, dass die Käufer ihre, sozusagen, "Windfall Profits" nicht für etwas anderes ausgeben (weil sie alle schon ihren Ferrari in der Garage stehen und ihre Hochseeyacht im Hafen liegen haben), sondern das Geld horten.

2) Denkbar ist auch, dass Ben Homer jedem Käufer die Wohnungen zum echten Preis für einen Alleineigentümer andreht und damit riesige Extraprofite einsammelt. Nun ist er vielleicht derjenige, welcher das Geld hortet, weil er schon 20 Oldtimer in der Garage stehen hat und 10 brillantenverzierte Breitling Chronometer an jedem Arm trägt und einfach aus Zeitmangel (er muss sich ja um weitere Kunden kümmern, um mehr Geld zu verdienen) nicht mehr Geld ausgeben kann und es, traurig, traurig, horten muss wie Dagobert Duck.

Gegen das Horten hat aber Salerno gar nichts einzuwenden; es mehrt ihm zufolge sogar das ökonomische Wohlergehen (S. 86; meine Hervorhebung):
"Hoarding occurs when an individual deliberately chooses to reduce his current spending on consumer goods and investment assets below his current income, preferring instead to add the unspent income to his cash balance held in the form of currency and checkable, or otherwise instantly accessible, bank deposits. As such, hoarding is nothing but an increase in what is called the “cash-balance” demand for money, that is, the average amount of money that the individual desires to keep on hand over a period of time. The behavior described by hoarding may be more descriptively labeled “cash building,” a term that has the additional virtue of freedom from the negative connotations that burden the word “hoarding.” Cash building usually stems from a more pessimistic or uncertain attitude toward the future caused possibly by the onset of a recession, a natural disaster or the imminent prospect of war. It may even result from speculation on the happy prospect that prices may fall in the near future as a result of economic growth or for other reasons. Under such circumstances, market participants appraise the value of the services yielded by a dollar in hand more highly than before relative to the services of the consumer goods or interest yield on investment goods that can be currently purchased for that dollar. All other things equal, including the number of dollars in existence, this increase in the demand to hold money will result in the bidding up of the market value of the dollar in terms of all goods. A pervasive price deflation will result causing shrinkage of the aggregate flow of dollars spent and received in income per period of time.
Despite the reduction in total dollar income, however, the deflationary process caused by cash building is also benign and productive of greater economic welfare. It is initiated by the voluntary and utility-enhancing choices of some money holders to refrain from exchanging titles to their money assets on the market in the same quantities as they had previously. However, with the supply of dollars fixed, the only way in which this increased demand to hold money can be satisfied is for each dollar to become more valuable, so that the total purchasing power represented by the existing supply of money increases. This is precisely what price deflation accomplishes: an increase in aggregate monetary wealth or the “real” supply of money in order to satisfy those who desire additional cash balances.
"
Ben Homer hortet freiwillig, erfüllt also absolut die Kriterien für die Salernosche Wohlfahrtsmehrung.
Nun kann man freilich sagen, dass er seinen Hortschatz ja zu Lasten der betrogenen Käufer anlegt, dass also in der Kette die Hortung unfreiwillig, erzwungen, erfolgt.
Das ändert aber zum einen nichts daran, dass Ben Homer die gesellschaftliche Nutzung knapper Ressourcen (Grund und Boden, Baumaterialien usw.) durch den Mehrfachverkauf (ob betrügerisch oder - als Timesharing - ehrlich ist insoweit egal) optimiert hat.
Zum anderen ist das Geld so oder so dem Wirtschaftskreislauf entzogen, wenn es gehortet wird; da macht es keinen Unterschied für die wirtschaftliche Aktivität, wer es hortet.
Etwas fern liegt unseren Gedanken ein Einwand, der in der Realität unvergleichlich wichtiger ist: auch in der sogenannten "freien" Wirtschaft erfolgt in zahlreichen Zusammenhängen eine Form von Hortung, die zwar juristisch nicht als Betrug zu qualifizieren ist, im wirtschaftlichen Ergebnis aber den gleichen Effekt hat wie Ben Homers betrügerisch generierter Hortschatz. Und dabei optimieren die Nutznießer noch nicht einmal den Ressourcenverbrauch.
Beispiele für eine überoptimale Geldextraktion von den Käufern sind z. B. Knappheitsprofiteure (etwa "die Ölscheichs", wenn das Rohöl geologisch oder auch nur markttechnisch knapp ist), Monopolanbieter (Microsoft z. B. mit seinem Betriebssystem und sonstigen Software, die ja auch noch mit beinharten Praktiken weit außerhalb eines fairen Wettbewerbs zu Lasten der Mitbewerber in den Markt durchgesetzt werden oder die Pillendreher mit ihren exorbitanten Marketingaufwendungen und vielfältigen Nutzen-Vortäuschungstaktiken (vgl. beispielhaft den Bericht "Gesundheitswirtschaft. Die Unberechenbaren" von Nicola Kuhrt in der Financial Times Deutschland (FTD) vom 19.07.09).
(Das wirft weitere Fragen nach der Haltbarkeit der ideologischen Position der "Austrians" auf, welche den Staat grundsätzlich als parasitären Kostgänger der freien Marktwirtschaft verunglimpfen. Welche Instanz soll z. B. den Wettbewerb sichern?)

3) Ben Homer könnte seine Extraprofite aber auch wieder in den wirtschaftlichen Kreislauf einschleusen: Güter und Dienstleistungen erwerben, oder sein Geld dem Ludwig-von-Mises-Institute spenden, damit dieses die freie Wirtschaft noch lautstärker preisen und den Abbau staatlicher Regulierungen und Zwangsapparate fordern oder (durch finanzielle Austrockung) herbeireden kann. Hätte er mit einer solchen freiwilligen Spende das wirtschaftliche Wohlergehen nicht wunderbar gefördert? Das will Salerno doch hoffentlich nicht behaupten, dass Spenden an einen 'österreichischen' Think Tank nicht wohlfahrtsmehrend sind?
Und, wenn doch, können wir unser Szenario beliebig variieren: Unser Häuser-Ben könnte seine Zusatzprofite z. B. in Hightech-Startups investieren und so der Innovationskraft seiner jeweiligen Volkswirtschaft einen Schub geben usw.

Man könnte die Überlegungen noch in zahlreichen Varianten fortsetzen; immer würde klar werden, dass Salernos Analogie daneben geht. Obwohl ich auch selbst der Deflationsphobie reserviert gegenüber stehe (andererseits aber natürlich sehe, dass Deflation die Geldbesitzer, also tendenziell die Reichen, begünstigt): Sonderliches Vertrauen in die Fähigkeit der 'Österreicher', Wirtschaft zu verstehen, erweckt das nicht.


Noch schlimmer ist da allerdings ein Beispiel das der Prager Professor Josef Sima (im Tschechischen wird der Name natürlich mit diakritischen Zeichen geschrieben) sich ausgedacht hat, um den gleichen Sachverhalt mit der gleichen ideologischen Tendenz wie Salerno zu beschreiben. (Es ist übrigens amüsant, dass sozusagen die alten Österreicher als US-Export in das ehemals habsburgische Prag zurückgekehrt sind!)

Sima hat den Aufsatz von Salerno größtenteils übernommen für sein eigenes Papier "Deflation as a Recipe for a Prosperous Europe" aus dem Jahr 2004.
Darin schreibt er (in einer Fußnote auf S. 73/74; meine Hervorhebung):
"The operation of a fractional reserve bank is analogous to the following situation: imagine a man who brings his suitcase to the baggage depository at a railway station (which is identical to the suitcases of other clients); he gets a receipt on which the depository promises to return his suitcase immediately on demand. The owner of the depository, however, decides to get rich by issuing and selling receipts confirming the deposition of (and claims to) non-existent suitcases (he decides to operate on fractional reserves), and then only hopes that not all his clients come at one moment to discover his fraud. Even if a professor – specializing in the operation of a depository on a modern, fractional reserve system – insists that "there are simply not enough suitcases to cover the continually increasing quantity of claims to suitcases in the economy", it would be crystal-clear to everybody that the problem is not the insufficient quantity of suitcases, but the existence of fraudulent receipts."

Anders als in Salernos Analogie wäre hier ein doloses Zusammenwirken zwischen dem Kofferaufbewahrer und den Quittungsempfängern erforderlich.
Denn die kofferlosen Kunden wissen ja, dass sie keinen Koffer aufgegeben haben. Wenn sie dennoch eine (verhältnismäßig geringe) Gebühr bezahlen, um an einen sehr viel wertvolleren Koffer zu kommen, dann sind sie die Hauptbetrüger; der Kofferaufbewahrer wäre nur deren armseliger Handlanger.

Zumindest eine saubere Analogie sollte man als Ökonom konstruieren können, denn aus Fehlern wie denn hier dargestellten muss der Leser zwangsläufig folgern, dass die ökonomischen Modelle dieser Schule von gleicher 'Qualität' sind.



Textstand vom 19.02.2011. Auf meiner Webseite
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